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Frachtschiffe könnten künftig noch häufiger den Atlantik queren. Handelshemmnisse sollen weitgehend abgebaut werden.

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"Wenn die USA es schaffen, unabhängig von Energieimporten zu werden, wird sich die Rolle Europas zwangsläufig ändern", sagt Roland-Berger-Chef Burkhard Schwenker.

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STANDARD: Die Erwartungen der EU-Kommission in ein Freihandelsabkommen mit den USA sind enorm. Die europäische Wirtschaftsleistung soll um 120 Milliarden Euro zulegen, 400.000 Jobs sollen entstehen. Schürt man da nicht illusorische Erwartungen?

Schwenker: Das finde ich nicht. Die Zahlen sind sogar eher konservativ gerechnet, die Effekte könnten noch größer sein. Ich habe auch die Hoffnung, dass es diesmal wirklich klappen könnte mit einem Freihandelsabkommen - im Gegensatz zu zahlreichen Versuchen in den vergangenen 25 Jahren. Warum? Jedem in Europa ist inzwischen klar, dass wir jede mögliche Quelle zusätzlichen Wachstums erschließen müssen.

STANDARD: Wobei Frankreich gleich mal auf die Bremse gestiegen ist und Ausnahmen für den Filmsektor fordert. Wird das nicht Gegenforderungen auslösen?

Schwenker: Ja, es wäre überraschend, wenn es anders käme. Vor allem, da es eine Reihe kritischer Themen gibt, etwa das Thema Gentechnik oder das Agrarthema, bei denen bisher alle Versuche für ein Abkommen gescheitert sind. Dabei ist es absurd, dass mit Frankreich ausgerechnet jenes Land, das am dringendsten Wachstumsimpulse braucht, die Gespräche erschwert.

STANDARD: Die Franzosen sabotieren die eigenen Möglichkeiten?

Schwenker: Ja, meine ich schon.

STANDARD: Die US-Wirtschaft profitiert derzeit von billiger Energie. Rechnen Sie damit, dass es zu einer größeren Industrieverlagerung aus Europa in die USA kommt.

Schwenker: Ich finde das im Augenblick noch nicht besorgniserregend. Was Europa auszeichnet, ist Kompetenz. Bei den industriellen Fähigkeiten sind wir den USA noch immer weit voraus. Energie ist nicht der einzige Faktor für einen Standort. Tatsache ist aber auch: Die energieintensiven Industrien in Amerika haben schlagartig an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Die Preisdifferenzen sind enorm: 30 bis 40 Prozent beim Strom, 70 Prozent beim Gas. Das wird dazu führen, dass zumindest in einigen EU- Ländern das Thema Energie überdacht werden muss. Etwa die Frage, ob alle Anreize für erneuerbare Energien richtig sind.

STANDARD: Mit welchen Folgen?

Schwenker: Wenn die USA es tatsächlich schaffen, unabhängig von Energieimporten zu werden, dann wird sich die Rolle Europas zwangsläufig verändern. Der stabilisierende Einfluss der USA im Mittleren Osten, der auch durch wirtschaftliche Interessen bedingt ist, wird zwangsläufig abnehmen. Die Effekte daraus sind groß: Der US-Verteidigungshaushalt könnte massiv sinken, zusätzliches Geld stünde für wirtschaftliche Aktivitäten zur Verfügung. Umgekehrt müsste Europa eine neue geopolitische Rolle übernehmen. Der Mittlere Osten liegt vor der Haustür, wir hätten steigende Ausgaben für Verteidigung. Das kann die Welt tatsächlich fundamental verändern.

STANDARD: Um die Handelsbeziehungen zwischen China und der EU steht es schlecht, Strafzölle in mehreren Branchen sind im Gespräch. Droht hier eine Wachstumsbremse?

Schwenker: Das glaube ich nicht. In dieser Dramatik hat das niemand gewollt. Die Situation hat sich hochgeschaukelt und wird sich wieder beruhigen. Beide Seiten wissen, dass diese Barrieren wieder vom Tisch gehören, um weltweites Wirtschaftswachstum zu erzeugen.

STANDARD: Stichwort Wachstum: Mittlerweile ist halb Europa in der Rezession, auch Deutschland und Österreich wachsen kaum mehr. Ist der europäische Sparkurs nicht gescheitert?

Schwenker: Es setzt sich die Erkenntnis durch - auch in Deutschland und im Internationalen Währungsfonds - dass der naive Kurs "Zuerst sparen, dann wachsen wir wieder" nicht funktionieren kann. Austerität und Wachstum müssen verbunden werden. Ich war immer der Meinung, dass wir die europäischen Probleme nur mit Wachstumsimpulsen lösen können, auch wenn dadurch möglicherweise eine höhere Verschuldung droht.

STANDARD: Also neue, teure, Konjunkturprogramme?

Schwenker: Wachstum zu fördern bedeutet ja nicht automatisch Verschuldung. Oberstes Prinzip muss mehr Flexibilität sein. Flexibilität am Arbeitsmarkt kostet per se kein Geld. Investitionen in Infrastruktur, wie wir sie brauchen, kosten zwar Geld, rechnen sich aber auch. Und dafür könnten auch private Investoren gefunden werden. Entbürokratisierung kostet zwar am Anfang Geld, bringt später aber auch Einsparungen. Was mich stört: Das schlichte und möglichst politisch korrekte Sparen mit dem Ziel, alle gleichermaßen zu belasten. Das funktioniert auch in keinem Unternehmen.

STANDARD: Bei Griechenland wird bereits ein zweiter Schuldenerlass diskutiert. Wäre der sinnvoll?

Schwenker: Mir käme das im Augenblick zu früh. Kredite sind mit Reformdruck verbunden, den halte ich für gesund. Nur zu sagen, weil sich heuer zu wenig getan hat, müssen wir über andere Maßnahmen nachdenken, finde ich zu kurz gegriffen. Hier gehört ein Stück weit Gelassenheit beziehungsweise Beharrlichkeit dazu, etwas länger abzuwarten. Es wäre eine Illusion, ein so komplexes Thema in so kurzer Zeit positiv lösen zu können. (Günther Oswald, DER STANDARD, 19.6.2013)