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Eine Erbschaftssteuer kann sich Bert Rürup durchaus vorstellen. Sie habe einen hohen Symbolwert und sei einer Vermögenssteuer "überlegen".

Foto: ap/lohnes thomas

Der deutsche Ökonom und Sozialexperte Bert Rürup hält es für eine "volkswirtschaftliche Verschwendung", dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter von Frauen in Österreich um fünf Jahre unter jenem der Männer liegt. Dies sei ein Karrierehindernis, erklärt Rürup im STANDARD-Interview. 

STANDARD: Sozialminister Rudolf Hundstorfer hält das heimische Pensionssystem für auf Jahre gesichert. Er sagt: "Es fehlt zur Stunde nichts." Teilen Sie den Befund?

Rürup: In der Tat, zur Stunde fehlt nichts. Allerdings ist das eine sehr kurzfristige, um nicht zu sagen: zu kurzfristige Betrachtung. Bei Pensionsfragen muss man in Jahrzehnten und Generationen denken. Und da hat Österreich natürlich ein Problem.

STANDARD: Es wird also bald die nächste Reform geben müssen?

Rürup: Natürlich. Und eine Politik der kleinen Schritte ist auch völlig in Ordnung, wenn alle Schritte in die gleiche Richtung gehen. Aber man darf den Leuten nicht nach jedem Schritt sagen: Das war es jetzt. Das sorgt für Unzufriedenheit. Österreich hat von den entwickelten Staaten mit den höchsten Pensionsaufwand in Relation zur Wirtschaftsleistung. Allerdings: Der Kostenzuwachs von diesem hohen Niveau ist in der Perspektive relativ gering. Herr Hundstorfer kann sich darauf bezogen haben.

STANDARD: Immer wieder Thema ist das niedrigere Frauenpensionsalter. Daran wird nicht gerüttelt.

Rürup: Das ist nicht nur eine volkswirtschaftliche Verschwendung. Es entspricht auch nicht einem ansonsten so modernen Staat wie Österreich, dass Frauen mit 60 Jahren gehen, und die Angleichung erst bis 2033 erfolgt.

STANDARD: Frauenrechtlerinnen meinen, es dürfe erst dann ein gleiches Pensionsalter geben, wenn die Gleichstellung überall erreicht ist.

Rürup: Könnte es nicht sein, dass ein gleiches Pensionsalter Voraussetzung dafür ist, dass in anderen Bereichen, zum Beispiel beim Anteil von weiblichen Führungskräften, Gleichheit geschaffen wird?

STANDARD: An der Bezahlung würde es wohl nichts ändern.

Rürup: Sicher aber bei den Karrierechancen. Wenn ein Arbeitgeber überlegt, jemandem mit 55 einen Führungsjob zu geben, hat doch die Frau, die dann schon kurz vor der Pension steht, schlechtere Chancen als der gleich alte und gleich qualifizierte Mann. Es gibt auch so etwas wie eine Last der Wohltaten.

STANDARD: Optimisten hoffen, dass die steigende Lebenserwartung durch steigende Produktivität kompensiert wird.

Rürup: Die Wachstumsrate der Produktivität in Österreich liegt seit vielen Jahren bei nur 1,7 Prozent. Es gibt kein Argument, dass das, was 30 Jahre nicht passiert ist, in der Zukunft passieren sollte, nur weil die Gesellschaft altert.

STANDARD: Stichwort Produktivität: In einigen Wettbewerbsrankings ist Österreich zuletzt zurückgefallen. Macht Ihnen das Sorgen?

Rürup: Nein, nicht wirklich beziehungsweise noch nicht. Wo haben Sie stark preissensible Produkte? Allenfalls im Tourismus, in der mittelständischen Industrie weniger. Die österreichischen Betriebe produzieren viele wichtige Nischenprodukte. Dort ist der preisliche Wettbewerbsdruck nicht so groß. Deutschland und Österreich sind im Export nicht deshalb so erfolgreich, weil sie besonders billig sind, sondern weil ihre Unternehmen technologisch und qualitativ führend sind.

STANDARD: Ihre Erklärung dafür, dass in Österreich Reformen nur sehr dosiert passieren?

Rürup: Der Grund ist relativ simpel. Es geht dem Land gut. De facto herrscht immer noch Vollbeschäftigung, die Durchschnittseinkommen sind hoch und die Einkommensverteilung im internationalen Vergleich ausgewogen. Weitreichende Reformen sind in aller Regel nur in schlechten Zeiten möglich. Gerhard Schröder hätte seine Agenda nie eingebracht und durchgesetzt, wenn ihm das Wasser nicht bis zum Hals gestanden hätte. Ähnliches könnte jetzt in Frankreich passieren. Ich würde nicht ausschließen, dass Präsident Hollande irgendwann Schröder folgt. Er weiß, dass sein Land nicht von außen gerettet werden kann. Dafür ist es zu groß. Das erzeugt internen Reformdruck.

STANDARD: Viele ältere Menschen haben das Gefühl, dass es für Ältere ohnehin keine Jobs gibt.

Rürup: Das ist eine gerne von Gewerkschaften vertretene Philosophie, die süffig, aber grottenfalsch ist. Das Arbeitsvolumen ist keine fixe Größe, die vorhanden ist und die man auf Jung und Alt verteilen kann. Das Arbeitsvolumen muss jedes Jahr neu erwirtschaftet werden. Die Beschäftigungssituation wird zum einen von der Nachfrage nach Arbeit durch die Unternehmen bestimmt und zum anderen durch das Angebot an Arbeit durch die Erwerbsbevölkerung. Hierzulande gibt es aber eine Reihe von Anreizen, sehr frühzeitig aus dem Arbeitsleben auszusteigen, weil die Pensionsabschläge für ein vorzeitiges Ausscheiden und die Zuschläge für längeres Arbeiten niedrig sind.

STANDARD: Die Gewerkschaft drängt auf einen leichteren Zugang zur sechsten Urlaubswoche. Wäre das leistbar?

Rürup: Das ist kein ökonomisches, sondern ein Machtproblem. Man kann den Produktivitätsfortschritt entweder in Form von Barlohn oder kürzerer Arbeitszeit verteilen. Daher: Natürlich können die Gewerkschafter die sechste Urlaubswoche haben, wenn sie auf Lohn verzichten, oder sie erstreiken sie um die Gefahr eines Beschäftigungsabbaus.

STANDARD: Im anlaufenden Wahlkampf sind auch Vermögens- und Erbschaftssteuern wieder Thema. Kann sich das Hochsteuerland Österreich neue Steuern leisten?

Rürup: Die Unternehmensbesteuerung ist in Österreich sehr moderat. Die Arbeitseinkommen werden dagegen hoch belastet. Und das hat sogar eine gewisse Logik und folgt der modernen Steuertheorie: Besteuere die Bemessungsgrundlagen niedrig, die mobil sind, sprich: auswandern können. Und jene hoch, die immobil sind und sich dem Steuerzugriff nicht entziehen können. Zu den erwähnten Steuern: Wenn man meint, umverteilen zu müssen, ist die Erbschaftssteuer mit Sonderregeln bei mittelständischen Unternehmen der Vermögenssteuer überlegen. Warum? Sie fällt nur einmal im Leben an - nach Abschluss der Vermögensbildung. Eine Vermögenssteuer, die alle Vermögensarten gleichbehandelt, ist mit einem unglaublich großen Verwaltungsaufwand verbunden - und das jährlich.

STANDARD: Megaeinnahmen bringt eine Erbschaftssteuer aber nicht.

Rürup: Das stimmt, sie bringt nicht viel, aber angesichts der anrollenden Vererbungswelle zunehmend mehr. Zudem hat die Erbschaftssteuer einen hohen Signalwert. Schließlich und endlich ist Steuerpolitik immer auch ein Stück weit symbolische Politik. Es wird einem Gerechtigkeitsbedürfnis Rechnung getragen. (Günther Oswald, DER STANDARD, 21.6.2013)