Ein Hund. Ein Pick-up mit Bootskajüte auf der Ladefläche. Ein Autor. Mehr bedurfte es im Jahr 1960 nicht, als John Steinbeck, damals 58, aufbrach zu einer vielwöchigen Fahrt durch Amerika. Der Kalifornier, der in New York eine Wohnung hatte, überwiegend aber in dem idyllischen Städtchen Sag Harbor auf Long Island lebte, wollte sich etwas beweisen, vor allem, nachdem sein zuvor in England in Angriff genommenes Romanprojekt über König Artus auf Grund gelaufen war - es wurde erst 1976, acht Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht. Steinbeck wollte sein Land verstehen, es wieder verstehen.

Er, der Autor so bekannter realistischer und populärer Romane wie Die Früchte des Zorns, Jenseits von Eden und Die Straße der Ölsardinen, fühlte sich nicht mehr im Tritt mit den Geschehnissen, mit den Umbrüchen, mit einem Land, das sich anschickte, eine Konsumgesellschaft zu werden und sich lang gehegter Prinzipien zu entledigen. Ergebnis war eine lange dreiteilige literarische Reportage für das Magazin Holiday, die 1961 erschien und ein Jahr später in Buchform: Meine Reise mit Charley, Untertitel: Auf der Suche nach Amerika.

Fünfzig Jahre später machte sich der Amsterdamer Journalist und Historiker Geert Mak auf, reiste der Tour John Steinbecks und dessen Pudel Charley nach - gleichfalls auf der Suche nach Amerika. Einem Amerika der ökonomischen Krisen, der intellektuellen Debatten um den Niedergang und das Ende vom selbst kreierten Mythos der unbegrenzten Aufstiegsmöglichkeiten und politisch-militärischer Fantasien. Mak folgte der Route Steinbecks: von New York via Sag Harbor ins nördlichste New England, von dort nach Detroit und Chicago, durch Minnesota, North Dakota, Montana nach Seattle, die Pazifikküste hinunter bis nach San Francisco und Monterey und durch die Mojavewüste und Arizona nach Texas.

Letzte Station war New Orleans. Zu Recht ließ Mak, der liberale Publizist und im persönlichen Umgang so freundliche und aufgeschlossene Autor von Büchern über Amsterdam, ein holländisches Dorf, Europa und eine Istanbuler Brücke, den letzten Part, die Fahrt zurück nach New York entfallen, war doch diese Sektion in Steinbecks Buch die am schnellsten und auch am lustlosesten absolvierte.

John Steinbecks Reise mit Charley ist vor zwanzig Jahren neu von Burkhart Kroeber übersetzt worden. Ansonsten sind von dem Amerikaner irisch-deutscher Herkunft ein Dutzend Bücher auf Deutsch lieferbar. Und doch ist dieser kraftvolle Erzähler, Literaturnobelpreisträger von 1962, heute beim Lesepublikum eher in die hintere Reihe verwiesen. Dieses Schicksal teilt er mit anderen Autoren seiner Generation, die einst, in den 1950er- und 1960er-Jahren, viel und gern gelesen wurden, einem William Saroyan etwa; so ist Steinbeck, dessen Bücher in den Vereinigten Staaten Schullektüre sind, mittlerweile eher Cineasten ein Begriff, da viele seiner Bücher verfilmt wurden (zuletzt Von Mäusen und Menschen, am bekanntesten sind wohl John Fords Früchte des Zorns mit Henry Fonda und Elia Kazans Jenseits von Eden (1955) mit James Dean.

Auch Maks Amerika ist ein Land im Umbruch. War Steinbeck in der letzten Phase des Präsidentschaftswahlkampfes zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy unterwegs, einer Phase noch immer virulenten Optimismus, in der jedoch subkutan sich viele elementare Weichenstellungen abzeichneten, so erlebt der einfühlsame Beobachter Mak, den seine Frau begleitet, ein Land der Widersprüche, unübersehbarer vielfältiger Krisen und tiefer Depression, die mittlerweile auf die Ernüchterung nach der Wahl Obamas gefolgt ist.

Es ist ein Kontinent-Land, das für sich weder politisch noch mental eine Balance mehr findet, es besteht, so das zu ziehende Fazit, nur noch aus fragilen, ideologisch konträren und verwirbelten Peripherien ohne Zentrum.

Zugleich ist dieses oft ausgewogen, noch öfters scharfsinnig argumentierende, gut geschriebene Buch aber auch eine konzise Historie der Vereinigten Staaten, von Theodore über Franklin D. Roosevelt bis George W. Bush, ihrer Aktivitäten, ihres Impetus, ihres religiös- hypnotischen Sendungsbewusstseins. Es ist eine Umkreisung der vielen inkommensurablen Mentalitäten, die dieses Land ausmachen, bilden und formen.

Hedonismus und Religiosität

Es beschreibt seine Widersprüche zwischen den Bad Lands und dem vom Hurrikan Katrina und den gebrochenen Deichen verheerten New Orleans, zwischen dem pastoralen, tiefreligiösen Hinterland und den schreiend hedonistischen Suburbs und den Konsumhochburgen, in denen sich schon zu John Steinbecks Schrecken so mancher Ort, den er einst kannte, verwandelt hatte. Es ist ein imperiales Land, das diesen Anspruch vehement für sich abstreitet. Geert Maks Buch ist ein hoch differenziertes Porträt voller Antworten, das aber noch mehr Fragen stellt.

Erstaunlich ist, dass der noch vor zwei Jahrzehnten verlegerisch so eminente Siedler-Verlag sich bei der Redaktion dieses Buches editorischer Sorgfalt entschlagen hat. Ab Seite 50, nach vielen falsch geschriebenen Fremdworten, ging der Rezensent mit sich die Wette ein, dass sich dies wohl bis zum Ende durchziehen würde (er gewann). Dass bei Steinbecks Ehefrau Elaine das falsche Geburtsjahr angegeben ist, 1913 statt 1914, mag gerade noch hinnehmbar sein; dass jedoch John Steinbecks Todestag auf den "20. September" verschoben wird, mit Maks beschreibendem Extra-Nachsatz "kurz vor Weihnachten" (!), zeugt von mehr als nur lässiger Gleichgültigkeit gegenüber einem klugen Autor. (Alexander Kluy, DER STANDARD, 22./23.6.2013)