Leo Hemetsberger, Philosoph und Unternehmensberater.

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Der Mensch strebt nach Erkenntnis, er will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. In vielen Anläufen und Versuchen wurden Methoden und Denkweisen entwickelt, die uns diesem Ziel näher bringen sollen. Aristoteles steht beispielhaft für diesen Wunsch nach Wissen. So beginnt seine Metaphysik mit dem Satz: "Allgemein in der menschlichen Natur liegt der Trieb nach Erkenntnis." Er hat durch sein Werk fundamentale Unterscheidungen entwickelt, die in abgewandelter Form bis heute gültig und gebräuchlich sind.

Mit jedem Menschen, der geboren wird, beginnt diese spannende Suche aufs Neue. Es ist individuell verschieden, wie weit und tief die Neugierde vordringen will. Viele geben sich mit tradiert Vorgekautem zufrieden, ohne hinter Behauptetes zu blicken, vielleicht weil sie im täglichen Kampf des Lebens keine Zeit dafür haben oder ihre Interessen woanders liegen. Doch wo, wenn nicht in den Wissenschaften, sollte der Erkenntnisgewinn wesentlicher Motivator sein. Das Schulsystem beispielsweise, mit seinen fixen Strukturen und veralteten Fächer-Prioritäten, unterstützt Hinterfragen nicht besonders. Es hängt wohl besonders vom Bemühen der Pädagoginnen ab, ob die Neugierde und Flexibilität im Denken gefördert wird. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Dazu ein Labsal sind Ken Robinsons wunderbare TED Beiträge, hier zu sehen.

Logisches Denken

Das Wichtigste, das uns Aristoteles für den Erkenntnisgewinn hinterlassen hat, war die Systematisierung der Logik. Das logische Vorgehen, auch bekannt als rationales Denken, fließt ursprünglich aus der Grammatik, der inneren Verwobenheit der Sprache mit sich selbst und der Welt. Die Logik liefert wohl den größten Beitrag, um die uns umgebende und auch unsere innere Welt verstehen zu lernen. Glaube und Gefühl, oft als entgegengesetztes Begriffspaar zu Logik und Ratio genannt, haben ihren Platz, Sinn und Berechtigung, werden jedoch erst durch logische Differenzierungen zuweisbar. Dessen war sich etwa die mittelalterliche Scholastik, als ganz in der aristotelischen Tradition stehend, sehr bewusst. Über den Glauben muss man, wenn man ihn verdeutlichen und mitteilen möchte, auch zusammenhängend sprechen können. Dazu bemühte sich die Theologie. Nur weil ein System seiner inneren Logik folgt, bedeutet dies aber noch nicht, dass es objektiven Erkenntnisgewinn leistet.

Intuition

Lange Zeit wurde die Intuition, umgangssprachlich als Bauchgefühl bekannt, als irrationaler Gegensatz zum rationalen Ansatz abgelehnt. Sie kann aber eine wirksame Entscheidungshilfe sein, denn sie stützt sich auf Erfahrungen und deren Reflexion, die nicht ohne innere Logik der Zusammenhänge möglich sind. Um etwas auch mit Unterstützung des Bauchgefühls auf den Punkt zu bringen, sollte die betreffende Frage vorher schon gut durchdacht und durch kritische Rückmeldungen aus dem Netzwerk abgesichert sein. Wenn es so etwas wie ein allgemeines Bauchgefühl gibt, so sagt uns dieses: Es ist etwas faul... und das nicht nur im Staate Dänemark.

Mit Hilfe der Logik können wir aus einander widersprechenden Aussagen die zutreffenden herausfiltern und mit Unterstützung haltbarer Fakten Entscheidungsgrundlagen bereitstellen.

Logik wird Wissenschaft

Im Rausch der Erfolge von Rationalismus und Empirismus in den Grundlagenwissenschaften und auch in den Wirtschaftswissenschaften, etwa im Taylorismus, wollte man die Welt effizient durchplanen. Aber Halt! Da kamen plötzlich Grenzwerte ins Blickfeld. Viele Prognosen zeigten exponentielle oder gar chaotische  Entwicklungsverläufe und führten zu katastrophalen Ergebnissen. Wiederum war es das rationale Denken, das unzureichende Annahmen hinterfragte und die Hybris zur Vernunft rief. ("Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch". Mit diesem Hölderlinzitat sah Heidegger in seinem Buch "Die Technik und die Kehre" einen Hoffnungsschimmer zur entfesselnden Kraft des "Gestells" gesichert - seinem Allgemeinbegriff für technische Mittel und deren schonungslose Vernutzung der Welt, dem er die Kunst als andere Weltauffassung gegenüber stellen wollte.)

Umdenken, aber wie!

Wir müssen also immer mit dem "ganz Anderen" rechnen, das Hereinbrechen kann. Bei dialektischen Prozessen kommt es nicht nur zu einem Pendeln von der einen Seite zur anderen, sondern zu einem radikalen Umschlagen ins Entgegengesetzte. Nichts bleibt wie es ist, Veränderungen wirken sich entweder schleichend, oder aber abrupt bis zu einem plötzlichen Paradigmenwechsel aus.

Die Welt ist seit meinen Kindheitstagen in vielen Bereichen eine ganz andere geworden. Heute sind mir Kommunikationsmittel selbstverständlich, über die wir damals in Science Fiction Romanen oder Comics gelesen hatten und die wir begeistert diskutiert hatten. Angeregt durch Vorabend TV-Serien, die nie ein Mensch zuvor gesehen hatte.

Sind diese Mittel für sich wirklich die Lösung unserer Probleme? "Wer es eilig hat, gehe langsam", sagt ein chinesisches Sprichwort. Besonnenheit, (gr. sophrosyne) kann Klarheit bringen. Das Einbeziehen und Durchdenken aller möglichen Varianten (Monte Carlo Simulation) ist heute notwendig, um die vernünftigen und brauchbaren Lösungen von den anderen zu unterscheiden. Dazu benötigen wir unbedingt offene Diskursräume und intensiven Austausch auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten. Nicht nur in einem Wissenschaftsbereich ist das offenbar schwierig, scheint aber besonders in folgendem geradezu unmöglich zu sein: in den so genannten Wirtschaftswissenschaften. Wird fortgesetzt. (Leo Hemetsberger, derStandard.at, 3.7.2013)