US-Autor David Markson: unendliches Gedankenspiel.

Foto: Johanna Markson

Wien - Kate, der Erzählerin in dem Roman Wittgensteins Mätresse, gehört die ganze Welt. Die wirkliche Welt besteht aus Kontinenten, aus Landmassen und Inseln, auf denen Städte liegen mit Straßen, Brücken und Museumsbauten. Kate, die merkwürdige Heldin des US-Amerikaners David Markson, hat einen einzigen Makel. Strenggenommen ist es gar nicht ihr eigener Makel. Die Welt, wie wir sie kennen, liegt ihr zu Füßen. Alle Gegenstände, Autos, Bücher, Ruderboote, stehen ihr zu Gebote. Sie könnte von allen Dingen hemmungslos Gebrauch machen. Die Gelegenheit wäre günstig. Aber der Erdball ist entvölkert.

Kate, eine Kunstmalerin in ihren späten 40ern, sitzt in einem Strandhaus und hackt auf eine Schreibmaschine ein. Es ist nicht recht klar, warum sie das tut. Die Hoffnung auf mitmenschliche Gesellschaft hat sie aufgegeben. Hin und wieder fliegen Aschenreste durch die Luft vor der Küste, und Kate malt sich die Möglichkeit aus, Besuch von einer Möwe zu kriegen. Aber kein Leben regt sich. Die Umstände der Katastrophe, die zu Kates völliger Vereinsamung geführt haben, werden nicht aufgeklärt.

Üblicherweise ist Einsamkeit ein traurig stimmender Befund. Wer unter ihr leidet, muss schlimmstenfalls Bedarf nach Therapie anmelden. Die Hauptfigur des New Yorker Modernisten David Markson (1927-2010) hat hingegen niemanden, von dem sie sich therapieren lassen könnte. Der Titel des 1988 auf Englisch erschienenen Buches ist aber auch kein leeres Versprechen. Kate schreibt, um sich ihrer in die völlige Freiheit entlassenen Existenz zu versichern. Sie tut dies in vager Anlehnung an den Tractatus logico-philosophicus des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein.

Wie einst Penelope

Jeder ihrer Sätze enthält eine sachliche Feststellung. Rasch wird klar, dass nichts verworrener ist als eine einfache Feststellung. Mit aller Macht krallt sich Kate an ihre Erinnerungen. Ihr Denken kreist um Künstler, Dichter und Musiker, seltener um ihren Mann ("Adam") und ihrer beider jung verstorbenen Sohn. Mit besonderer Vorliebe denkt Kate, der buchstäblich letzte Mensch, an Homers große Epen. Dann rekapituliert sie das Schicksal der schönen Helena und dasjenige der geduldig auf Odysseus wartenden Penelope. Der Teppich, den sie webt, ist der Roman Wittgensteins Mätresse.

Die Schwierigkeiten bei der Lektüre dieses völlig einzigartigen Romans liegen nach wenigen Absätzen auf der Hand. Das Denken einer so umfassend auf ihr Alleinsein verwiesenen Figur kann sich selbst nicht entkommen. Mit dem Verschwinden der Menschheit fehlt jedes Korrektiv für eine Richtigstellung ihrer Behauptungen. Die Logik des Textes ist daher die der konditionalen Aussage: Wenn sich etwas so und so verhalten hat, dann ist es nur folgerichtig, dass es so und so erinnert wird ... Zugleich hat die in Berlin ansässige Österreicherin Sissi Tax die spröden Sätze Marksons in ein vollendet bürokratisches Deutsch übersetzt. "Vermutlich" , "allerdings", so heißen die Schmuckwörter der wie in einem Brettspiel angeordneten Suada.

Markson war ein Autor, der vor allem bei anderen Autoren höchstes Ansehen genoss. In der ersten deutschsprachigen Ausgabe seines Buches erweisen ihm Elfriede Jelinek und (posthum) David Foster Wallace ihre Reverenz. Eine wichtige Wiederentdeckung. Auch weil man ahnt, woher Thomas Glavinic seine Idee für den Roman Die Arbeit der Nacht genommen haben könnte. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 26.6.2013)