Sinnbild für die Dynamik von Wien? Jude Anogwihs Installation " Boundarylessness 2" (2013).

Foto: Angelika Krinzinger

Wien - Brust oder Keule. Mehr Optionen, das wusste bereits Louis de Funès, gibt es für den Feinschmecker beim Geflügel nicht. Inzwischen ist diese, andere Hühnerteile schmähende Fleischvorliebe ein Phänomen der Massen, und daher landen Füße und Karkassen der Federviecher - dank Fördergeld - tiefgekühlt am afrikanischen Kontinent, machen dort Preise und lokale Märkte kaputt.

Mit solchen Kehrseiten von Mobilität und Globalisierung beschäftigt sich der nigerianische Künstler und Kurator Jude Anogwih aus Lagos (geb. 1975). In der Ausstellung Concreta Sonho in der Galerie Krinzinger zeigt er in einem seiner kurzen Videos ein Schiffswrack - allerdings in einer einzigen, statischen Einstellung. Es ist wie ein Tableau vivant unter Wasser, jedoch ein abstrahiertes, denn es wurde in grelle Farben - Rot, Gelb, Blau und Grün - getaucht. Die Farbpalette erinnert an die Konstruktivisten. Ein Verdacht, den eine Installation Anogwihs bestätigt: Boundarylessness 2 (2013) titelt die dynamische, flexible Komposition aus bunten Holzobjekten, die metaphorisch für den Rhythmus der Städte, den Migrationsfluss und die wahnwitzigen Mobilitätskonzepte unserer Zeit (der Weg von A nach B folgt über den Zwischenstopp am Flughafen der Stadt C) steht.

Die reduzierten Arbeiten sind freilich nur Stellvertreter für die gesellschaftspolitischen Fragen, mit denen sich Jude Anogwih beschäftigt; seine konkrete, auf die Moderne - etwa de Stijl - verweisende Formensprache kommt aber nicht von ungefähr: Schließlich verband sich der Fortschritts- und Rationalitätsglaube der Moderne auch mit hehren sozialpolitischen Zielen. Der Ausstellungstitel Concreta Sonho benennt ebendiese Gegensätze von Ratio und Emotion, von konkreter Kunst und Träumen. Das illustrieren auch die Arbeiten der anderen Künstler aus dem Artist-in-Residence-Programm der Galerie: Die Fundstück-Objekt-Assemblagen von Adriano Costa (Brasilien) und die " fotografischen Zeichnungen" von Johanna Calle (Kolumbien). (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 27.6.2013)