Sozialleistung dürfe "keine soziale Hängematte" werden, kritisierte ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch den angeblichen Sozialmissbrauch bei der Mindestsicherung im rot-grünen Wien ("ÖVP ruft Wien als Paradies sozialer Hängematten aus", DER STANDARD, 18. Juni). Auch Parteichef Michael Spindelegger will nicht glauben, dass die BezieherInnen der Mindestsicherung "alle die Ärmsten der Armen sind".

Der neue Sündenbock der ÖVP sind die MindestsicherungsbezieherInnen. Weil nationale Ökonomie, Staat, ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen in einem gemeinsamen Boot sitzen, sollen von Arbeitslosigkeit geprägten Gruppen die Hilfen radikal verweigert und die finanziellen Mittel dann zugunsten der Wirtschaft umverteilt werden. Egal sind der ÖVP die 48.000 Kinder, die in armutsbetroffenen Haushalten in Wien leben und die Kindermindestsicherung erhalten. Egal. Diese wurde von der ÖVP abgelehnt.

Die MindestsicherungsbezieherInnen seien zur Selbsthilfe zu zwingen. Ihre materiellen Verluste sollen wie im 19. Jahrhundert Familie und Nachbarschaft kompensieren. Ihre Identität sollen sie gleichfalls kostenneutral an Familie, Gemeinschaft und Nachbarschaft binden.

Menschen rutschen schnell in Geldsorgen. Schulden, Jobverlust, gesundheitliche Probleme oder eine Trennung führen rasch dazu, dass man staatliche Hilfe braucht. Es ist schwer genug, diese Scham zu überwinden und Behörden aufzusuchen. Wer über kein oder ein zu geringes Einkommen verfügt, kann in Wien unter bestimmten Voraussetzungen die Mindestsicherung beantragen.

BezieherInnen der Mindestsicherung müssen jede zumutbare Beschäftigung annehmen, ihr Auto veräußern, außer es wird beruflich gebraucht. Sie dürfen nicht mehr als 4.000 Euro am Konto haben. In Wien beziehen neun Prozent eine Dauerleistung, die meisten erhalten eine Aufzahlung, weil sie nicht von ihrer Arbeit beziehungsweise ihrem Arbeitslosengeld leben können. Denn es gibt auch Working Poor, Menschen, die Hungerlöhne haben: FriseurInnen verdienen nur 7,11 Euro pro Stunde, im Gastgewerbe verdienen viele nur 7,08 Euro pro Stunde. Daher erhält eine Person zurzeit 795 Euro im Monat zum Leben. Eine notwendige Hilfe, solange es keine Mindestlöhne gibt.

Es wird künstlich Angst erzeugt, immer mit dem Blick aufs Wahlergebnis. Es werden Stimmungen geschürt, um UnternehmerInnen und Millionen abhängig Beschäftigte zu einer Interessengemeinschaft zu verschmelzen, welche an die dunkle Vergangenheit erinnert. Eine nationale Identität, eine österreichische Wertegemeinschaft soll installiert werden. Früher im Namen der "Nation", heute im Namen des "Standortes" sollen die Menschen dazu gebracht werden, Opfer zu bringen.

Im Wechselspiel zwischen der medialen Stimmungsmache gegen Ärmere und ordnungspolitischer Intervention erklärt man bestimmte Submilieus zum Feind der Gesellschaft. Aus der Sicht der Behörden, der Ordnungskräfte und derjenigen, die von der Spaltung der Gesellschaft profitieren, formieren sich Obdachlose, Drogenkranke und junge MigrantInnen zu einer unerwünschten oder gar gefährlichen Gruppe. Gegen diese wird eine repressive Kontroll- und Verdrängungspolitik als notwendig und legitim erachtet.

Durch die Skandalisierung eines angeblichen Leistungsmissbrauchs - ExpertInnen sprechen von maximal drei Prozent - und durch die Dramatisierung eines herbeigeredeten Kollapses der Pensionen und der Krankenversicherung wird ein politisches Klima erzeugt. Ein unsolidarisches Klima, in dem die Kürzung existenznotwendiger Sozialleistungen für zehntausende Menschen durchsetzbar wird.

Die Missbrauchskampagne der ÖVP gegen die MindestsicherungsbezieherInnen ist nichts anderes als eine Kriegserklärung an den sozialen Frieden. Die angeblich christlich-soziale Partei skandalisiert, um ein politisches Klima der Angst zu erzeugen, notwendige Hilfen radikal zu verweigern und die finanziellen Mittel dann zugunsten der Wirtschaft umzuverteilen.

Der soziale Frieden kommt allen zugute. (Birgit Hebein, Leserkommentar, derStandard.at, 5.7.2013)