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"Das Verkehrswesen war niemals eine wissenschaftliche Disziplin, es war eine Zunft", sagt Hermann Knoflacher.

Foto: APA/Pfarrhofer

derStandard.at: Warum befürworten Sie Tempo 30 in Städten?

Knoflacher: Tempo 30 ist eine Geschwindigkeit, die ein Mensch noch in Eigenverantwortung bewältigen kann. Für höhere Geschwindigkeiten haben wir kein Sensorium und keine evolutionäre Erfahrung. Bis 30 km/h kann ich noch rechtzeitig bremsen, bei 50 km/h hingegen ist der Bremsweg schon sehr lang. Läuft ein Kind 14 Meter vor mir auf die Fahrbahn, würde man erst auf dem Kind zu bremsen beginnen.

derStandard.at: Wie ist man dazu gekommen, die Höchstgeschwindigkeit in Städten mit 50 km/h festzulegen?

Knoflacher: Das ist eine reine Konvention in der Geschichte des Verkehrswesens. Man hat sich gefragt "Was nehmen wir da?" und hat sich irgendwie auf die 50 km/h geeinigt. Es gibt keine wissenschaftliche Begründung dafür. Das ist bei vielen verkehrspolitischen Maßnahmen so, bei der Fahrbahnbreite zum Beispiel auch. Weil die Fahrbahnen so breit sind, sind die Leute angeregt, schneller zu fahren, als erlaubt wäre. Das wurde alles zusammengeschustert. Das Verkehrswesen war niemals eine wissenschaftliche Disziplin, es war eine Zunft.

derStandard.at: Sie selbst setzen sich wissenschaftlich damit auseinander und treten seit Jahrzehnten für Tempo-30-Zonen ein. Gibt es einen Fortschritt?

Knoflacher: Es gibt immer noch nicht genug Zonen, keine Frage. Ich bin generell für Tempo 30 auf allen Straßen, mit wenigen Ausnahmen.

derStandard.at: Welche würden Sie ausnehmen?

Knoflacher: Sicherlich die Trassen, auf denen die öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Bei diesen Fahrzeugen besteht eine höhere Form der Absicherung, und die Fahrer sind besser trainiert. Für Tempo 50 bin ich da aber auch nur dann, wenn dafür gesorgt wird, dass das Umfeld entsprechend übersichtlich ist.

derStandard.at: Im Zuge der Umgestaltung der Mariahilfer Straße wird in der Neustiftgasse, der Burggasse und der Gumpendorfer Straße Tempo 30 eingeführt. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?

Knoflacher: Das ist sicher ein begrüßenswerter Schritt, es ist nur so, dass er am Tempo nichts ändert. Wir haben viele Geschwindigkeitsmessungen gemacht und daraus die Durchschnittsgeschwindigkeit für Fahrtstrecken ermittelt. Sie liegt auf Hauptstraßen bei 27 km/h. Zwischen den Ampeln können die Fahrer beschleunigen, aber insgesamt ist man nicht schneller am Ziel.

derStandard.at: Könnte man mit diesem Argument Kritiker besänftigen?

Knoflacher: Ja, denn sie glauben ja, dass sie durch Geschwindigkeitserhöhungen Zeit sparen können. Es gibt Leute, die fahren sehr schnell und stehen dann dafür länger an der Kreuzung herum. Psychologisch ist ihre Abwehrhaltung durchaus verständlich. Hohe Geschwindigkeiten suggerieren eine Kraft- und Zeiteinsparung, die es aber in der Realität leider nicht gibt.

derStandard.at: In Wien gab es bisher vor allem in Wohngebieten den Ansatz, Tempo-30-Zonen zu errichten. Wie bewerten Sie die Arbeit von Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou?

Knoflacher: Sie bemüht sich, in diese Richtung Maßnahmen zu setzen. Ich habe schon in den 1970er-Jahren begonnen, dafür zu trommeln, und bin auf erbitterten Widerstand gestoßen. Mittlerweile ist vieles realisiert worden.

Was Vassilakou nun macht, ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Verkehrspolitik. Das sollte man nicht als Parteipolitik verzerren. Unabhängig vom Parteihintergrund muss jeder Politiker in dieser Position in diese Richtung arbeiten, wenn er Verantwortung für die Bürger übernehmen will. Das sollte man nicht in die Parteiebene spielen.

derStandard.at: Vassilakou wird vorgeworfen, dass sie sich nur für die Radfahrer einsetzt.

Knoflacher: Es ist wichtig, dass Bewusstsein für das Radfahren geschaffen wird. Da unternimmt sie als Grünen-Politikerin einiges. Wir haben mittlerweile über 1.000 Kilometer Radwege in Wien. 1975, nein, bis in die 1980er-Jahre hinein hatten wir davon noch gar nichts.

derStandard.at: Das Stadtbild hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert.

Knoflacher: Ich bin damals die ersten 600 Kilometer selbst abgeradelt. Acht Jahre lang wurde gespottet über mich. Erst als Helmut Zilk Bürgermeister wurde, hat er mir Rückendeckung verschafft. Er hat mich gefragt, was er als Bürgermeister machen soll. Ich habe ihm verschiedene Dinge vorgeschlagen. Unter anderem, dass es dringend notwendig wäre, in Wien einen Radverkehr zu machen.

Da hat er gesagt, ja, ist eine gute Idee, er wohne im ersten Bezirk und könne dann mit dem Fahrrad ins Büro radeln. Ich war bei ihm, er hat zum Hörer gegriffen und die Umsetzung eingeleitet. So entstand in Wien der Radverkehr. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 9.7.2013)