Bild nicht mehr verfügbar.

Aus dem Archiv: Frauen- und Menschenrechtlerinnen setzen sich seit Jahrzehnten für eine Lockerung des Abtreibungsverbots in Chile ein. Diese Frauen versammelten sich 1997.

Foto: apa/Cris Bouroncle

Ein schockierender Vergewaltigungsfall lässt die chilenische Öffentlichkeit nicht los: Ein elfjähriges Mädchen wurde vom Partner ihrer Mutter mehrmals vergewaltigt, nun ist sie von ihm schwanger. Vor laufender Kamera erklärte sie ihren Landsleuten, dass sie das Kind zur Welt bringen und es "wie eine lebende Puppe behandeln" wolle. Präsident Sebastian Pinera lobte das Mädchen daraufhin am Dienstag öffentlich für seine Entscheidung und handelte sich damit viel Kritik ein.

Die Elfjährige, die in der 14. Schwangerschaftswoche ist, habe mit ihrer "Tiefe und Reife" alle überrascht, sagte Pinera. Trotz des entstandenen Schmerzes wolle sie auf das Kind achten. Den Gesundheitsminister habe er darum gebeten, sich persönlich um die Gesundheit der Elfjährigen zu kümmern.

Schwelender Konflikt neu entbrannt

Pineras Aussagen heizen nun eine ohnehin schon lodernde Debatte zwischen konservativen und linken Gruppen an, zumal in dem 16-Millionen-EinwohnerInnen-Land Schwangerschaftsabbrüche illegal sind - das Abtreibungsverbot gilt auch für Schwangerschaften infolge von Vergewaltigung oder bei gesundheitlichen Gefahren für die Schwangere. Das Gesetz sieht sowohl für ÄrztInnen als auch für die jeweilige Frau Haftstrafen von bis zu 15 Jahren vor. Da Frauen aber trotz Verboten bisher immer und überall Wege fanden, eine Schwangerschaft abzubrechen, werden auch in Chile Abbrüche vorgenommen: Eine Frauenrechtsgruppe schätzt die Zahl der illegalen Abtreibungen pro Jahr auf mehr als 100.000.

Eingeführt wurde das restriktive Gesetz nach dem Putsch von Diktator Augusto Pinochet im Jahr 1973. Pinera - politisch in der Pinochet-Diktatur sozialisiert - machte bisher keine Anstalten, das Verbot zu lockern. Der Senat, eine der beiden gesetzgebenden Kammern, lehnte erst im vergangenen Jahr drei Anträge zur Lockerung des Abtreibungsverbots ab. Damit bleibt Chile in gesellschaftspolitischen Agenden auch 40 Jahre nach der Diktatur auf konservativer Schiene. Als eines der letzten Länder weltweit hat es erst vor neun Jahren das Scheidungsrecht eingeführt.

Frauengesundheit

Die derzeitige Regierung wolle alles unternehmen, um die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu schützen, begründet Pinera das Festhalten am Gesetz. ReproduktionsexpertInnen sehen das freilich anders: Zum einen seien eine Schwangerschaft und eine Geburt für den Körper eines jungen Mädchens alles andere als gesund; zum anderen könnten vergewaltigte Frauen und Mädchen das Ausmaß einer solchen Entscheidung nicht ab- und einschätzen. "Was der Präsident sagt, hat nichts mit der psychologischen Entwicklung einer Elfjährigen zu tun. Es ist eine subjektive Meinung und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage", sagt Giorgio Agostini, forensischer Psychologe, der vor allem mit Opfern von sexuellem Missbrauch arbeitet.

Mögliche Wende im November

Doch der Anden-Staat zwischen Peru, Bolivien und Argentinien könnte in seiner Abtreibungspolitik bald eine Wende erfahren: Die ehemalige Direktorin von UN Women, Michelle Bachelet, kandidiert bei der PräsidentInnenwahl im November für das linke Wahlbündnis "Nueva Mayoría". In einem Radiointerview sprach sie sich im Zuge der aktuellen Debatte für die Lockerung des Abtreibungsverbots aus. Damit wäre Chile allerdings ein Vorreiter im südlichen Amerika: Die meisten Länder verbieten Abtreibung unter allen Umständen. Lediglich Kuba, Uruguay und einige lokale Regierungen haben Schwangerschaftsabbrüche für Frauen zugänglich gemacht - wobei Uruguay mit der Fristenlösung von drei Monaten den liberalsten Weg ging. (eks, dieStandard.at, 10.7.2013)