Die Debatte um die wissenschaftliche Beweisbarkeit schädlicher Folgen der Gentechnik bringt nicht viel. Wir wissen heute einfach nicht, welche Folgewirkungen die Gentechnik in 20 Jahren oder später haben wird. Diese Ungewissheit sollte eigentlich genügen, um von einer klassischen Risikotechnologie die Finger zu lassen. Das Vorsorgeprinzip gebietet, erst gar nicht in den Lawinenhang einzusteigen, sondern einen anderen, sicheren Weg zu wählen.

Obwohl das Vorsorgeprinzip heute Standard in allen UN-Umweltabkommen ist, wird es von der Welthandelsorganisation (WTO) nicht anerkannt. Importverbote sind in der WTO unzulässig, solange der letzte Beweis für die Schädlichkeit der Gentechnik nicht erbracht ist. Deshalb wird die EU gerade von den USA vor der WTO geklagt.

Das Bestehen auf dem letztgültigen wissenschaftlichen Beweis ist besonders unbesonnen, wo massive wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. Denn multinationale Konzerne werden logischerweise alles daran setzen, Beweise mit "unabhängigen" Studien zu zerstreuen.

Der Hunger . . .

Dieses Phänomen haben wir bei der Global Climate Coalition bereits kennen gelernt: Erdöl- und Autokonzerne haben via "unabhängige" Wissenschaftler den Treibhauseffekt so effizient infrage gestellt, dass sich die US-Regierung beim Boykott des Kioto-Protokolls auf die Uneinigkeit der Wissenschaft berufen kann.

Dies aber nur als Vorbemerkung. Was uns viel mehr interessiert: Was wäre denn, wenn in 20 Jahren tatsächlich nichts passiert wäre, wenn keine Lawine abgegangen und die Strategie der Konzerne aufgegangen wäre?

Dazu ist es dienlich, sich den Markt anzusehen. Schon derzeit dominieren fünf Unternehmen den Weltmarkt für Saatgut und Pestizide: Syngenta, Bayer, Dupont, Pharmacia und Dow Chemicals. 1998 hielten die fünf Großen bereits über 70 Prozent aller weltweit angemeldeten Patente auf Saatgut - traditionelles und gentechnisch verändertes. Die Fusionswelle rollt seither mächtig weiter: Pioneer wurde von Dupont geschluckt, Monsanto von Pharmacia, Novartis von Syngenta. Die beiden größten - Dupont und Pharmacia/Monsanto - haben enge Zusammenarbeit beschlossen. Gemeinsam halten sie 93 Prozent der weltweiten Patente auf gentechnisch verändertes Saatgut. Das ist fast wie Microsoft - nur mit Nahrungsmitteln.

Fazit: Sollte die Gentechnologie durchgesetzt werden, werden Millionen von Bauern und Bäuerinnen weltweit von zwei oder drei globalen Konzernen abhängig sein, von denen sie dann Jahr für Jahr das (sich selbst terminierende) Saatgut kaufen müssen. Im Doppelpack dazu auch ein paar nette Pestizide - und all das sicher nicht zum Freundschaftspreis. Fehlt dann einmal das Geld, sind Hungerkatastrophen programmiert: Denn ist Gentech einmal großflächig angebaut, verschwinden traditionelle Sorten in Windeseile. Genau darauf setzen Multis, wenn sie Gentech-Saatgut via Entwicklungshilfe verteilen: auf Abhängigkeit und Marktanteile.

Womit wir beim Thema Welthunger sind. Es ist längst erwiesen, dass es keine Nahrungsmittelknappheit gibt, sondern eine ungerechte Verteilung. Den Ärmsten fehlt einerseits das nötige Land, andererseits können sie sich die - ausreichend vorhandenen - Nahrungsmittel nicht leisten. Die besten Böden im Süden produzieren nicht für die Hungernden vor Ort, sondern für die Konsumeliten im Norden. Die Gentechnik ist der Stabilisator für die Exportlandwirtschaft, weil sie ausschließlich auf (unökologische) Monokulturen ausgerichtet ist.

. . . der Konzerne

Womit wir beim letzten Argument, der Ökologie, wären. Mit moralischem Unterton beten Botschafter Brown und Berater Curtis die Konzern-PR nach, derzufolge Gentechnik Pestizide "einsparen" helfe. Stimmt schon: Pro Hektar sind tatsächlich geringere Mengen des Totalherbizids "Roundup" nötig als in Vollgiftkulturen, aber: "Roundup" ist ein Supergift, das nicht nur alles Leben rund um die Genpflanze vernichtet, sondern auch bei Menschen zu Unfruchtbarkeit führt. Die Werbung für "weniger Gift" blendet außerdem völlig aus, dass es weltweit alternative, giftfreie Anbaumethoden gibt, die - nicht zuletzt aufgrund der besetzten Exportböden - nicht zur Anwendung kommen.

Das "Problem": Ökologische Landbaumethoden sind von Natur aus so unterschiedlich wie die Ökosysteme, in denen sie angewandt werden. In der Sahel-Zone sind ganz andere Techniken nötig als im Alpenraum, in den Great Plains oder am Mittelmeer.

Diese Dezentralität nimmt dem Ökolandbau den Machtfaktor: Er kann von keinem Konzern der Welt global konzentriert werden.

Wer also wirklich das Welthungerproblem lösen möchte, müsste a) besitzlosen Bauern Zugang zu Land und traditionellem Saatgut verschaffen und b) die Vermittlung von tradiertem und ökologischem Wissen fördern. Die US-Regierung zieht es offenbar vor, mittels diplomatischer PR und WTO ihren Agrarkonzernen zu globaler Feudalherrschaft zu verhelfen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 7. 2003)