Bild nicht mehr verfügbar.

Politik und Islam: Selbstreflexion mit Sir Karl Popper ...

Foto: ROBERT JAEGER/APA

... und Muhammad Asad.

Foto: diagonale08

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Farid Hafez in seinem Kommentar "Demokratie und Islam - schon am Ende?" (DER STANDARD, 10. Juli) just jenen Philosophen Popper zitiert, der in seinem Werk "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" den entscheidenden Faktor herausarbeitete, in dem sich demokratische und antidemokratische Ansätze unterscheiden: den Absolutheitsanspruch. Frei nach Popper ist jede politische Idee, die einen Absolutheitsanspruch stellt, eine per se undemokratische, da sie quasi nichts anderes neben sich dulden kann.

Einen solchen Anspruch stellen aber eben auch jene Kräfte, die aus dem politischen Islam hervorgegangen sind und weiterhin hervorgehen. Da diese Parteien lediglich eine Interpretation der islamischen Religion als Wahlmöglichkeit bieten, ist andererseits natürlich klar, dass sie eine menschliche, damit weltliche und daher fehlbare Idee anbieten und sich nicht etwa auf die absolute (innere) Wahrheit der Religion an sich beziehen können. Damit ist wiederum der Weg frei für einen Pluralismus, der die Demokratie erst zur echten Demokratie macht.

Mangel an Reflexion

Sowohl die AKP in der Türkei wie auch die Muslimbruderschaft in Ägypten konnten bis dato keine Antwort auf den Vorwurf finden, sie würden die Demokratie lediglich auf Wahlen reduzieren. Offensichtlich fehlt es den Parteien, die aus dem politischen Islam hervorgehen, an einer notwendigen Selbstreflexion. Der Absolutheitsanspruch des politischen Islam steht dieser im Wege. Daher sind auch die harschen Reaktionen (bei zivilgesellschaftlichen Widerständen) beider Parteien in der Türkei und in Ägypten keine Produkte des Zufalls, sondern die logische Konsequenz einer antipluralistischen Haltung.

Der Säkularismus, den etwa die von Herrn Hafez genannten Ziehväter des politischen Islam leidenschaftlich ablehnten, ist ein weiterer grundlegender Bestandteil jeder Demokratie, weil nur damit die unaufhörlichen religiösen, konfessionellen und sektiererischen Auseinandersetzungen ein Ende finden können, die den Nahen und Mittleren Osten so sehr plagen.

Bedenklich ist daher auch etwa der Kommentar einer türkischen Journalistin, die dem politischen Islam nahesteht und für die regierungsnahe "Habertürk" schreibt, als sie als Reaktion auf die Intervention des Militärs am Nil nicht etwa die Muslimbrüder und ihre Performance unter die Lupe nahm, sondern sich bemüßigt fühlte, dem Säkularismus ein Problem mit demokratischen Grundregeln zu attestieren.

Die Erfahrungen mit dem fehlenden Säkularismus hätten die Anhänger des politischen Islam in der Türkei und in Ägypten längst zum Umdenken bewegen müssen. Man muss sich nur die politische Instrumentalisierung der altehrwürdigen Al-Azhar oder die staatliche Instrumentalisierung der Religion in der Türkei über das Amt für religiöse Angelegenheiten vor Augen führen. Nicht nur, dass ein Umdenken ausgeblieben ist, der türkische Ministerpräsident Erdogan, der in jüngeren Jahren gegen die staatliche Kontrolle der Religion auftrat, baute jenes Amt für religiöse Angelegenheiten in seiner Amtszeit noch sukzessive aus. Während ein säkulares Staatsmodell die Religion vor staatlichem Zugriff schützen würde, wollen jene Emissäre des politischen Islam offensichtlich die anhaltende Instrumentalisierung der Religion durch ganz und gar weltliche (!) Akteure.

Keine andere Instanz

Herr Hafez schreibt, der politische Islam könnte Gefahr laufen, jetzt quasi mit anderen "Regierungsformen" zu kokettieren. Im Sinne Adornos muss festgehalten werden, dass es zwar durchaus andere Regierungsformen neben der Demokratie gibt, doch nur die Demokratie jenen Qualitätsunterschied aufweist, der ihren Siegeszug erst ermöglicht hat. Denn die Demokratie ist identisch mit dem Volk selbst, als Ausdruck der eigenen Mündigkeit. Keine andere Instanz ist notwendig, wenn mündige Menschen sich ihren ganz und gar weltlichen Problemen im Diesseits stellen.

Hätten die Emissäre des politischen Islam am Nil diesen Grundsatz beherzigt, hätten sie sich wohl zuerst um die grassierenden Nöte der Menschen gekümmert, wie etwa Unterversorgung, Arbeitslosigkeit und steigende Lebensmittelkosten, und nicht kulturkämpferische Aktionen gesetzt (wie etwa die endlose Diskussion um die Scharia und ihre Stellung im Rechtssystem).

Vielleicht ist es angebracht, es einmal ganz offen auszusprechen: Neben der Demokratie gibt es lediglich Formen von Willkürherrschaft, auch Tyrannei genannt, die fehlende Legitimität durch Gewalt als probates politisches Werkzeug ersetzt. Wenn also jene Muslimbrüder sich in diese Zirkel zurückziehen, dann sollten sie vielleicht bedenken, dass ihr göttlicher Auftrag vielleicht doch nur Einbildung war und sie jenes Gewaltsystem, das sie all die Jahre unterdrückt hatte, nun ihrerseits repliziert haben und weiterhin replizieren.

Der moderne islamische Gelehrte Muhammad Asad, der als Leopold Weiss in der k. u. k. Monarchie auf die Welt kam, beklagte am Ende seines Lebens und Wirkens, dass die islamische Welt sich intellektuell abgeschottet habe und stattdessen extremen Formen des Glaubens anhängen würde. Seine Angst war, dass die islamische Welt auch weiterhin am Ende der Karawane der Menschheit marschieren müsse.

Eingedenk der schlechten Lage in der islamischen Welt wäre es vielleicht nicht der verwegenste Gedanke, mehr Selbstreflexion zu wagen und auch zugegeben schmerzhafte Prozesse in Kauf zu nehmen. Zu einem solchen Prozess gehörte das Eingeständnis des politischen Islam, dass er als weltlicher Akteur nicht über anderen Akteuren steht und der Absolutheitsanspruch mehr Fluch denn Segen ist. (Rusen Timur Aksak, DER STANDARD, 12.7.2013)