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In Krankenhäusern wird die Behandlungsqualität ganz genau unter die Lupe genommen, in Ordinationen kontrolliert die Ärztekammer Toiletten und Feuerlöscher.

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Sigrid Pilz: Schwarze Schafe werden weißgewaschen.

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Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Artur Wechselberger, hat in der Diskussion über die Vorgänge in der Ordination der Wiener Abtreibungsärztin (gehäufte schwere Komplikationen bei "Billig-Abtreibungen", Red.) mit einer bemerkenswerten Haltung aufhorchen lassen: Im Ö1-"Morgenjournal" verteidigte er die Untätigkeit der ÖQMed - das ist jene Einrichtung der Ärztekammer, die die Qualitätssicherung und Kontrolle in den Ordinationen vornehmen soll - mit deren Unzuständigkeit. Sein Vorschlag für künftiges Fehlermanagement ist dazu angetan, einen tiefen Keil zwischen Patienten und Ärzteschaft zu treiben: "Sollten die Patientenanwälte auf Missstände stoßen, müssen sie das bei den zuständigen Stellen wie der Strafbehörde melden."

Der Ruf nach dem Strafrichter ersetzt für den obersten Ärztefunktionär die längst notwendigen Qualitätskontrollen bei Mängeln in den Ordinationen. Moderne Qualitätssicherung zeichnet sich dadurch aus, dass regelmäßig mit nachvollziehbaren Kriterien mögliche Fehlerquellen und Systemschwächen von unabhängigen fachlich versierten Instanzen überprüft werden. Die konstruktive Aufarbeitung der Ergebnisse mit dem Geprüften soll eine Verbesserung sicherstellen.

Die Österreichische Ärztekammer verfolgt einen ganz anderen Kurs: Mit einer Selbstevaluation, bei der die Qualität der Behandlung weder im Fragenkatalog an die Ärzte noch im Bericht aufscheint, stellt sie den Ordinationen regelmäßig einen Persilschein aus. Auch fast allen Ordinationen, die die Wiener Patientenanwaltschaft als "Schwarze Schafe" vor Monaten an die Ärztekammer gemeldet hat, wurde eine weiße Weste bescheinigt.

Zuständig fühlt man sich für "Erreichbarkeit von Ordinationen, Ausstattung der Toiletten und das Vorhandensein von Feuerlöschern". Das wichtigste Interesse der Patienten, nämlich nach dem Stand der Wissenschaft und sicher behandelt zu werden, interessiert die Kammer nicht: Dass sich Verletzungen bei Abtreibungen in der berüchtigten Ordination gehäuft haben, ist den Funktionären jedoch seit Jahrzehnten bekannt und firmiert unter Ärzten als "Morbus XY" (XY steht für den Namen der Ärztin).

Anzeigen und Beschwerden, auch seitens der Wiener Patientenanwaltschaft, führten zu mehreren Verhandlungen vor dem kammerinternen Ehrenrat. Die Ärztin wurde regelmäßig von den Vorwürfen entlastet. Eine dauerhafte Aberkennung der Berufsberechtigung hat die Ärztekammer nie verfügt. Man hat so lange untätig zugesehen, bis eine Patientin beinahe innerlich verblutet ist.

Unerträglich ist, dass die Ärztekammer jetzt nicht etwa ihre eigene Kontrolltätigkeit kritisch beurteilt, sondern Fragen der Qualitätssicherung künftig vor allem durch den Strafrichter geklärt haben will. Man nimmt damit in Kauf, dass in manchen Ordinationen so lange riskante Medizin betrieben werden darf, bis Tod, Körperverletzung oder die Gefährdung der körperlichen Sicherheit durch eine strafbare Handlung eingetreten sind. Denn nur dafür ist das Strafrecht zuständig. Alle Fehler, die weniger gravierend sind, können nicht strafrechtlich verfolgt werden. Die Behandlungssicherheit kann mit dem Vorschlag des Präsidenten kaum erhöht werden.

Das Arzt-Patient-Verhältnis, das ganz besonders auf Vertrauen gegründet sein muss, wird durch den Ruf nach dem Strafrichter vergiftet. Ärztliches Handeln ist per se risikogeneigt. Gute Qualität kann nicht durch das Damoklesschwert des Strafgesetzes herbeigezwungen werden.

Der konkrete Fall in Wien gibt zudem Einblick in eine chaotische Vorgehensweise der Kammer: So behauptete der Wiener Kammeramtsdirektor, erst seit wenigen Wochen von den Vorwürfen zu wissen. Am selben Tag bestätigte sein Wiener Präsident, von der Patientenanwältin schon vor einem Jahr informiert worden zu sein. Ein Verfahren laufe. Besonders irritiert, dass die Kammer bis heute die in der Ordination tätigen Gynäkologen nicht kennt. Hatten die Kammerfunktionäre trotz der Vorwürfe kein Interesse, die Ärztin - immerhin ist sie Kammermitglied - zu fragen, oder sind sie so schwach, dass man ihnen die Antwort schuldig bleiben darf?

Die Patienten haben ein Recht auf sichere Behandlung. Den Ärzten darf von ihrem Kammerpräsidenten nicht Angst vor dem Strafrichter eingejagt werden. Daher soll der Gesundheitsminister die Qualitätssicherung einer unabhängigen Behörde übertragen. Die Ärztekammer ist befangen und hat bewiesen, dass sie ungeeignet für diese Aufgabe ist. (Sigrid Pilz, DER STANDARD, 16.7.2013)