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Aus der Vogelperspektive lässt sich die Dynamik der Masse am besten beobachten.

Foto: APA/Oczeret

Die Open-Air- und Festivalsaison ist voll im Gange - und je größer die Veranstaltung, desto schwieriger wird es, den Überblick über die Menschenmengen zu bewahren. Ein Forscherteam hat nun ein System entwickelt, das Einsatzkräfte alarmieren soll, wenn sich kritische Situationen entwickeln - die im schlimmsten Fall in eine Massenpanik mit dramatischen Folgen münden können.

"Wir verwenden fix montierte Kameras und Videoaufnahmen, die von Kleinflugzeugen oder Helikoptern aus der Luft gemacht werden. Anhand der Videos wird automatisch analysiert, wie sich die Menschenmenge verhält", sagte Projektleiter Alexander Almer von Joanneum Research bei der Präsentation des Systems "Eviva" vergangene Woche in Wien.

So eine kritische Situation baut sich über längere Zeit auf, erklärt Helmut Schrom-Feiertag vom Austrian Institute of Technology (AIT), einer der Projektpartner. Wenn an einer Stelle zu viele Menschen in eine Richtung drängen, beginnen sie unweigerlich zu stoßen und zu schubsen. Irgendwann wird der Druck so groß, dass er sich in Form von "Schockwellen" ausbreitet. Dabei werden Menschen nach vorn gedrückt, bis die Welle wieder zurückschwappt. Mittendrin kann es lebensbedrohlich eng werden.

Wie so etwas zustande kommt, hat der Physiker und Soziologe Dirk Helbing von der ETH Zürich anhand der Massenpanik in Mekka 2006 analysiert: Schon 20 Minuten vor dem Unglück, bei dem hunderte Menschen starben, ist die Eskalation absehbar gewesen. Basierend auf dieser Studie, hat das AIT ein Frühwarnsystem entwickelt, das automatisch Alarm schlägt, wenn der Druck in der Menge - also die Dichte an Menschen sowie die Geschwindigkeit und Richtung ihrer Bewegungen - einen kritischen Wert überschreitet.

Um festzustellen, wie viele Personen sich in einem bestimmten Areal bewegen, hat Joanneum Research eine Software entwickelt, die anhand der Luftbilder die Anzahl von Menschen abschätzen kann. "Am besten eignen sich Aufnahmen aus der Vogelperspektive, um einzelne Personen zu zählen, da sich die Leute nicht gegenseitig verdecken", sagt Almer. Die Besucher werden dann zu Punkten abstrahiert. Anhand des Bildflusses lässt sich feststellen, in welche Richtung sie sich bewegen. Je dichter die Menge, desto mehr verfärbt sie sich von grün zu rot. Sämtliche Daten werden auf Satellitenbildern verortet, um den Sicherheitskräften in der Leitzentrale ein genaues Lagebild zu bieten. Das Einsatzpersonal auf dem Gelände kann über Tablets oder Smartphones ebenfalls darauf zugreifen und gegebenenfalls einschreiten.

Einzelne Personen zu identifizieren sei keinesfalls Ziel des Projekts, wird betont: "Wir wollen nur die Massendynamik sehen", streicht Christian Flachberger vom Firmenpartner Frequentis hervor. "Der Sinn ist nicht, Personen heranzuzoomen, sondern Großveranstaltungen sicherer zu machen", sagt auch Christian Preischl vom Innenministerium, ebenfalls Partner des vom Sicherheitsforschungsprogramm "Kiras" des Verkehrsministeriums geförderten Projekts.

Flugpolizei und Militär

Die Flugpolizei, deren Hubschrauber schon mit Video- und Infrarotkameras ausgestattet sind, könnte auch erster Kunde des Systems werden. Preischl geht davon aus, dass damit große Ansammlungen - ob am Fußballfeld, bei Konzerten oder Demonstrationen - besser überwacht werden können. Um aus dem Prototyp ein voll ausgereiftes Produkt zu machen, sind jedoch noch einige Verbesserungen nötig, vor allem was die optimale Bildverarbeitung betrifft. Ein Ziel ist es, die Geschwindigkeit zu erhöhen: "Derzeit dauert es zwei bis drei Minuten, bis eine Aufnahme in der Zentrale ist. Wir wollen unter 30 Sekunden kommen", sagt Flachberger.

Vorstellbar wären auch Zusatzfunktionen: Man könnte etwa kurz vor Ende eines Konzerts auf der Hauptbühne am Donauinselfest berechnen, wie viele Leute sich in Richtung U-Bahn bewegen werden. Die Wiener Linien könnten sich dann darauf einstellen. Interesse zeigt auch das Verteidigungsministerium, das ebenfalls als Kooperationspartner von "Eviva" fungiert - insbesondere im Hinblick auf Naturkatastrophen, wie es heißt.

1,6 Millionen Euro wurden bis jetzt in das Projekt investiert, davon 1,1 Millionen Fördergeld. Wie gut es am boomenden Markt für Sicherheitstechnologien ankommt, wird sich zeigen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 24.7.2013)