"Wenn ich es schaffe, nur ein Jahr länger daheimzubleiben, zahlt es sich doch schon rein finanziell aus": Michaela Fritz plädiert für eine Kosten-Nutzen-Rechnung.

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STANDARD: Seit mehreren Jahren schon wird von der älter werdenden Gesellschaft gesprochen und davon, wie wichtig ein mit intelligenten technischen Systemen ausgestattetes Zuhause für sie sein wird, um möglichst lange dort leben zu können. Wie weit ist man in der Umsetzung?

Fritz: Technologisch ist mittlerweile sehr viel möglich - das wurde schon oft bewiesen. Die Frage ist nur: Wie wird Ambient Assisted Living (AAL), also umgebungsgestütztes Leben, akzeptiert? Wie wird die Technik genutzt? Hilft sie den Menschen? Welche Kosten kann man einsparen, wenn Pensionisten noch mit 75 oder 80 selbstständig ihren Alltag bewältigen können? Jetzt muss sich zeigen, was es bringt - und das funktioniert am besten, indem man es ausprobiert, wie wir das derzeit im Burgenland tun. Wir statten 50 betreubare Wohneinheiten des Arbeiter-Samariter-Bundes mit Ambient-Assisted-Living-Technologien aus.

STANDARD: Wurden alle Wohnungen gleich ausgestattet?

Fritz: Das Projekt wurde so aufgesetzt, dass jederzeit Bestandteile ergänzt oder ausgetauscht werden können. Es geht natürlich um die Bedürfnisse der einzelnen Nutzer. Es kann nicht sein, dass man Fähigkeiten, die man hat, durch Technologien ersetzt. Und es ist sinnlos, ein Superpaket zu schnüren, in dem ausgerechnet jene Technologie, die man brauchen würde, nicht enthalten ist.

STANDARD: Geht es also um eine Personalisierung der Technik?

Fritz: Man kann das so sagen. Und das ist gleichzeitig eine der großen Herausforderungen. Wenn der eine Nutzer eine Hilfestellung in sozialer Kommunikation braucht und der andere mitunter vergisst, das Licht abzudrehen, ehe er das Haus verlässt, müssen wir beiden das richtige Werkzeug in die Hand geben, dann ist jedem geholfen. Wichtig ist dabei, den Nutzen im Auge zu haben, nicht, dass es für die Generation 60 plus ist. Es können ja auch jüngere Generationen davon profitieren. Egal, welche Lösungen es sein werden: Die Technologie muss in den Hintergrund treten. Der Nutzen der Technologie sollte dabei im Vordergrund stehen. Es geht um Intuition. Also die Benutzung als Prozess, über den ich nach einer kurzen Gewöhnungsphase nicht mehr nachdenken muss.

STANDARD: Wird im Burgenland untersucht, was es braucht, um eine intuitive Nutzung zu ermöglichen?

Fritz: Wir werden das abfragen. Es gibt ja keinen vorbereiteten Katalog, wo man sich nach Belieben das ideale Design herauspicken kann. Das muss Bestandteil der Forschung sein.

STANDARD: Gibt es verwertbare Erfahrungswerte darüber, wie die ältere Generation Technologien nützt?

Fritz: Wenn den Menschen, für die wir forschen, der Nutzen ersichtlich ist, dann ist die Akzeptanz sehr hoch. Dann fühlen sie sich auch mit Apps nicht überfordert. Diese Dinge sind mittlerweile schon recht einfach bedienbar - auch von Pensionisten. Wir führten eine E-Health-Studie mit über 70-jährigen Teilnehmern durch. Dabei waren wir selbst überrascht, wie leicht sich die Testpersonen mit der Technologie taten. Schwierig ist allerdings das Thema Daten. Da müssen wir Vertrauen schaffen, denn momentan sagen die Leute eigentlich nur: "Wir haben Angst vor allgegenwärtiger Überwachung." Die aktuellen Nachrichten machen ihnen Sorgen. Wir können nur immer wieder sagen, dass die Daten im Haus und da vertraulich bleiben. Aber gefühlte Sicherheit und echte Sicherheit sind zweierlei. Da gibt es noch viel Diskussionsbedarf.

STANDARD: Bleibt nur die Frage zu klären: Wer soll die nicht ganz billigen Technologien für die ältere Generation bezahlen?

Fritz: Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist wichtig für eine Volkswirtschaft, hat aber ein klares Ergebnis. Man braucht sich ja nur anzuschauen, wie teuer ein Pflegeheim pro Monat ist: Da sind wir schnell bei über 3000 Euro. Wenn ich annehme, dass ein Ambient-Assisted-Living-System etwa 10.000 Euro kostet, und ich schaffe es, nur ein Jahr länger daheim und selbstständig zu bleiben, dann zahlt es sich doch rein finanziell schon aus. Vom privaten Nutzen ganz zu schweigen. Es sind danach aber noch einige Fragen zu klären: Wer zahlt denn die Installation dieses Systems? Und wer profitiert letztlich davon, dass man Pflegekosten einspart? Man muss sich anschauen, wer jetzt die Pflege zahlt und wie wir diese Player des Gesundheitssystems auf Innovationskurs bringen können.

STANDARD: Wie gesprächsbereit zeigen sich die Krankenkassen derzeit?

Fritz: Noch abwartend. Zugegebenermaßen: Es ist auch nicht ganz einfach, den Begriff Ambient Assisted Living zu verkaufen - weder der breiten Bevölkerung noch Entscheidungsträgern im Gesundheitssystem und Politikern. Der Begriff ist leider nicht selbsterklärend genug. Deshalb müssen wir Aufmerksamkeit für das Thema schaffen. Dafür ist die Plattform AAL Austria gegründet worden. Wir wollen einen Leitfaden entwickeln: Welche Schritte braucht es jetzt, damit wir weiterkommen und die Technologien zur Marktreife bringen?

STANDARD: Gehen wir gleich ein paar Schritte weiter: Wie denken Sie selbst, die Systeme einmal nutzen zu können?

Fritz: Ich hoffe, dass mich die Technik im ganz normalen Alltag unterstützen wird. 2051 bin ich 80 Jahre alt. Laut Statistik Austria habe ich eine gute Chance, so alt zu werden. Da würde ich mich freuen, regelmäßig mit meiner Tochter zu reden - über welche Kanäle auch immer. Ich werde dabei in guter Gesellschaft sein. Zwei Drittel der Europäer sind dann über 65. Wir sind mit Technik aufgewachsen und werden uns wohl nicht schwertun, uns auszutauschen. Ein Einkaufszettel, den ich digital an den Supermarkt schicke, eine Erinnerung an das Herzmedikament - ich würde alle Hilfen schätzen, die zu meiner Gesundheit beitragen. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 24.7.2013)

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Wissen: Die Wohnung, die mitdenkt

Umgebungsunterstütztes Leben: So lautet die Übersetzung des wenig aussagekräftigen Begriffs Ambient Assisted Living (AAL). Gemeint ist damit die Ausstattung einer Pensionistenwohnung mit selbstlernender Sensortechnik und mit Kommunikationssystemen, die den Alltag der Nutzer abgestimmt auf seine Bedürfnisse unterstützen. Der im Fall der Nichtnutzung sich selbst abschaltende E-Herd ist nur das einfachste von viele bekannten praktischen Beispielen.

Heizung, Licht und jede andere Energienutzung kann auf diese Art reguliert und an die Gewohnheiten der Menschen angepasst werden. Die Ideen von Ambient-Assisted-Living-Entwicklern reichen vom Videochat über den Fernsehschirm bis zur digitalen Bestellung beim Lieferservice des Supermarkts per Spracherkennung.

Der Trend wurde vor einigen Jahren ausgerufen, weil der demografische Wandel abzusehen war: Die Gesellschaft wird im Durchschnitt deutlich älter. Politiker erkannten das Potenzial für Forschung und Industrie und begannen mit Förderprogrammen. Das Infrastrukturministerium in Österreich startete das Programm Benefit. Innerhalb der Europäischen Union entstand 2008 das Ambient Assisted Living Joint Programme (AAL JP). (pi)