Der Klub der schwer regierbaren EU-Staaten ist über Nacht um ein Land größer geworden. Nicht dass es in Bulgarien besonders ruhig gewesen wäre: Demonstriert wird dort schon seit Beginn des Jahres. Das Problem liegt tiefer. Ähnlich wie in Griechenland oder Italien geben Politiker und Parteiensystem keine Antwort mehr auf die Forderungen der Gesellschaft. Die Bulgaren können so oft wählen, wie sie wollen - und dies tun ohnehin immer weniger: Arithmetik und Personal scheinen kein sinnvolles Ergebnis zu liefern.

Mit der nächtlichen Blockade des Parlaments und seiner Abgeordneten in Sofia haben die Proteste einen Punkt erreicht, von dem an alles schwierig wird. Weiterwursteln ist schwer vorstellbar. Wieder Rücktritt der Regierung und Auflösung des Parlaments nur zwei Monate nach Wahlen, deren Termin bereits vorgezogen wurde, wären eine Bankrotterklärung des ganzen politischen Systems, nicht nur der amtierenden Koalition. Bulgarien dreht sich im Kreis.

Knapp vier Jahre hat der konservative Populist Bojko Borissow im Balkanland eine Minderheitsregierung mit Unterstützung durch die Rechtsextremen und deren Dissidenten geführt. Massenproteste brachten ihn zu Fall. Zur Verbesserung der sozialen Lage im ärmsten Land der EU war ihm auch in vier Jahren nichts eingefallen. Vorgezogene Neuwahlen im Mai brachten die Sozialisten zurück an die Macht - eine Regierung ohne eigene Mehrheit und wieder mit Unterstützung durch die Rechtsextremen. Sie kompromittierte sich schon nach nur zwei Wochen im Amt. Ein Rekord auch für bulgarische Verhältnisse.

Die Skandal-Ernennung des Medienmoguls und Pro-forma-Abgeordneten Deljan Peewski zum Geheimdienstchef hat Bulgariens Zivilgesellschaft den letzten Kick gegeben: Die neue Bürgergeneration lässt sich keine Schmierenstücke mehr bieten. Nach zwei Jahrzehnten der Apathie, die auf die Wende von 1989 folgte, pocht sie auf Transparenz und rechtsstaatliche Prinzipien. Peewski war am Ende nur einen Tag im Amt.

In diesen Monaten der politischen Dauerkrise in Bulgarien ist ein anderer zur zentralen Figur geworden. Staatspräsident Rossen Plewneliew, ein ehemaliger Borissow-Minister und von diesem ins Amt geschoben, ist von Haus aus Geschäftsmann und Manager, kein Parteipolitiker; ein Mann, der Bürgerpräsident sein will. Auf Plewneliew kommt es an in dieser Krise - doch auch seine Haltung wirft mittlerweile Fragen auf.

Mehrfach bereits hat sich Bulgariens Staatschef hinter die Protestbewegung gestellt, die erklärtermaßen den Sturz der Regierung erzwingen will; hat den Tausenden seinen "Glückwunsch" ausgesprochen, die in der sechsten Woche in Folge auf Sofias Straßen gehen, aber eben doch nur einen Teil der sieben Millionen Bulgaren repräsentieren. Vor allem aber hat auch Plewneliew nochmalige Neuwahlen als Lösung empfohlen.

Reform durch Übergangsregierungen könnte sein geheimer Wunsch lauten - nicht gewählt, von keinem Parlament kontrolliert, nur durch den Präsidenten bestellt. Von März bis Mai hat Plewneliew auf diese Weise bereits "regiert". Das ist auch nun eine Option, aber nicht die beste: Bulgariens Staatschef sollte die Borissow-Partei von ihrem Boykott des Parlaments abbringen. Kooperation, vielleicht sogar Koalition mit den Sozialisten scheint besser als eine weitere Neuwahl. Die bringt nur wieder mehr vom Alten. (Markus Bernath, DER STANDARD, 25.7.2013)