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Maurice Lévy, John Wren und im Hintergrund die Aktienkurs nach der Bekanntgabe der Fusion.

Foto: APA/EPA/JUSTIN LANE

Das Internet feierte dieser Tage seinen 40. Geburtstag und die Werbewelt die größte Fusion ihrer Geschichte. Beide Ereignisse sind eng miteinander verwoben.

Am Sonntag gaben Maurice Lévy, Chef des französischen Werbekonzerns Publicis, und John Wren, Geschäftsführer des US-Pendants Omnicom, in Paris die Fusion der beiden Unternehmen bekannt. Die Publicis Omnicom Group wird damit nach Absegnung durch die Wettbewerbshüter zur neuen Nummer Eins der internationalen Werbekonzerne.

Konsolidierungswelle als Gradmesser des Umbruchs

Das Unternehmen beschäftigt aktuell 130.000 Mitarbeiter und machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 23 Milliarden US-Dollar. Der Zusammenschluss ist ein Meilenstein in der anhaltenden Konsolidierungswelle des Werbemarktes, die den Wandel der gesamten Branche auf der Suche nach ihrer digitalen Identität aufzeigt.

Die Idee sei vor einem halben Jahr geboren worden, erzählten Lévy und Wren. Den Anstoß hätte die rasante Entwicklung der digitalen Welt gegeben. "Die Kommunikations- und Marketinglandschaft erlebt einen dramatischen Wandel, was sich anhand des exponentiellen Wachstums neuer Mediengiganten, der Explosion von Big Data, der Auflösung klar abgegrenzter Aufgabenbereiche und profunden Änderungen im Konsumentenverhalten zeigt", begründete Lévy den Entschluss.

Maschinen der Macht

Eine stärkere Positionierung in digitalen Belangen macht mit Blick auf die vergangenen fünf Jahre durchaus Sinn. Mit einer ungeahnten Vehemenz haben Technologie-Unternehmen wie Google, Facebook, Yahoo, Adobe, Oracle und Twitter begonnen, digitale Werbung als Hauptfinanzierungsquelle auszurufen. Da ein Großteil dieser Tech-Unternehmen mit einer beschränkten Anzahl von Mitarbeitern auskommen muss, wurden viele der bisher von Menschen in Werbe- und Mediaagenturen ausgeführten Arbeitsvorgänge automatisiert und in die Hand intelligenter Maschinen gelegt.

Die Auslieferung der Werbeanzeigen anhand von Algorithmen und Targeting verändert das Geschäft. Diese Erkenntnis hatte auch Omnicon-CEO Wren, der gerade vor einem Monat vor Analysten erklärte: "Der digitale Kauf von Anzeigenplätzen wird von Maschinen erledigt. Ich glaube, dass langfristig die traditionelle Werbung, oder zumindest der größte Teil davon, auf diese Weise verkauft wird."

Freund oder Feind

Das Problem für die klassischen Agenturen wird umso offenkundiger, je mehr Werbebudgets sich ins Digitale verlagern. Jeder Werbetreibende braucht heutzutage die Kanäle der Internetgiganten, um den Kunden mit Anzeigen durch den Tag zu begleiten und muss so zwangsläufig mit den neuen großen Konkurrenten zusammenarbeiten. Diese sind im Gegensatz dazu aber nicht auf die Agenturen angewiesen, um mit Großkunden wie General Motors, Nike oder Pepsi eigene Kampagnen zu starten. "Die Grenzen zwischen den verschiedenen Funktionen und Marktteilnehmern sind verschwommen. In dieser Welt muss man mit vielen Playern kooperieren und sich messen", kommentierte Lévy die derzeitige Patt-Situation.

Um die Heftigkeit dieses Umbruchs zu verdeutlichen, reicht ein Blick auf die Zahlen. Auch wenn der Jahresumsatz der Publicis Omnicom Group mit 23 Milliarden Dollar beeindruckend hoch ist, ist er doch nur ein Bruchteil des 50 Milliarden Dollar Umsatzes von Suchmaschinengigant Google, der sich zum Großteil aus Werbegeldern ergibt.

Milliarden für Big Data

Mit der Fusion zeigen Lévy und Wren, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt haben und ihre Truppen zum Angriff blasen. Nicht länger sollen immer größere Stücke des digitalen Werbekuchens, der es nach Einschätzung von eMarketer 2013 weltweit bereits auf 116 Milliarden US-Dollar bringen soll, von jungen Tech-Unternehmen abgeschnitten werden.

"In drei Jahren wird alles digital sein", gab Wren seine Zukunftseinschätzung ab, "alles was wir tun, sogar die Billboards werden digital sein." Geht es nach Lévy und Wren liegt der Schlüssel zur digitalen Werbewelt im Bereich Big Data. Bei der Pressekonferenz kündigten sie für diesen Bereich Investments in Milliardenhöhe an.

Das ambitionierte Vorhaben könnte jedoch aufgrund mangelnder Datensätze an seine Grenzen stoßen. Bisher bleibt den Werbeagenturen nur die Zusammenarbeit mit Datenhändlern wie Axciom, um an konkrete Kundendaten zu kommen. Als Ergänzung können über Cookies gesammelte Kundendaten sowie die Informationen zum Kaufhalten über Kundenkarten herangezogen werden. Von außen betrachtet ist das schon eine ganze Menge, im Vergleich mit den Datenkraken Google und Facebook allerdings nur ein kleiner Teil des Möglichen.

Der Inhouse-Trend

Neben der Gratwanderung zwischen Konkurrenz und Zusammenarbeit mit den Tech-Giganten haben sich in der digitalen Sphäre auch Konkurrenzsituationen mit den eigenen Kunden aufgetan. Immer mehr Konzerne wie Procter & Gamble oder Nike beginnen, selbst Daten zu sammeln. Dieser Informationsschatz ermöglicht ihnen zunehmend, Werbung über automatisierten Computerhandel selbst zielgruppenspezifisch auszusteuern und damit an den Diensten der Mediaagenturen vorbei einen Teil der Schaltungen selbst zu erledigen.

"Industrieller Merger in einer digitalen Welt"

Einen möglichen Denkfehler bei dem Riesenmerger zeigte Havas-Chef David Jones in einer ersten Reaktion auf, in der er die Fusion "einen industriellen Merger in einer digitalen Welt" nannte: "Die Obsession der Branche mit Fusionen und Akquisitionen überrascht mich immer noch. Denn in der digitalen und technologischen Welt sind solche Größenordnungen irrelevant". Die Formulierung ist zugespitzt formuliert, trifft aber einen wunden Punkt. Denn Fakt ist, dass die Tech-Konkurrenz riesige Daten- und Nutzermengen mit weitaus weniger Personal bewältigt.

Bleibt die Frage: Was kann man anstellen mit einer Manpower von 130.000 Spezialisten und dem Willen die digitale Werbezukunft mitzubestimmen? Lévy hat während der Pressekonferenz seinen Willen bekundet, kräftig in Technologie zu investieren, "um spezifisch ausgewählte Kunden mit einer relevanten Nachricht zu konfrontieren." Was man dazu brauche, sei Größe, meinte der 71-Jährige.

Hohe Erwartungen im Silicon Valley

Sollte der digitale Coup gelingen, hätte das nicht nur Auswirkungen auf die internen Abläufe. Auch die Bereiche Content, Medien und Technologien könnten davon profitieren. So berichtet der renommierte Tech-Journalist Om Malik von überschwenglicher Freude über den Deal im Silicon Valley und bemerkt darauf hin trocken, dass eine derartige Fusion vor zehn Jahren dort noch niemanden interessiert hätte. Große Hoffnungen von den aktuellen Entwicklungen machen sich vor allem die zahlreichen Jungunternehmer, die Software zur Analyse von Big Data oder Targeting- und Measurementlösungen bauen.

Angesichts der neuen Marktsituation ist mit weiteren Fusionen sowohl der Werbe- als auch in der Tech-Branche zu rechnen. Geht es nach Jon Swartz von USA Today könnte der Zusammenschluss eine Kettenreaktion auslösen, weil durch die neue Nummer Eins auf das stark umkämpfte Feld weiterer Druck ausgeübt wird.

Das Mobile-Mysterium

Neben dem Thema Big Data, gilt es in naher Zukunft funktionierende Anzeigenformte für mobile Geräten zu finden. Der Siegeszug der Mobiltelefone und Tablets hat inzwischen alle Kontinente ergriffen und ändert stückweise die Kultur der Unterhaltung, der Information und der Werbung. Auch in diesem Bereich haben die großen Tech-Unternehmen bereits die Nase vorn.

Google integriert seine Werbeschaltungen in die Suchergebnisse, Facebook lässt die Anzeigen elegant im individuellen Newsstream laufen. Mit beiden Konzepten konnten sich die User anfreunden. Abseits dieser plattformabhängigen Lösungen hat sich bisher noch keine Umsetzung als massentauglich bewiesen.

Culture Clash

Die Zukunft wird es weisen, ob die Hoffnungen von Lévy und Wren bezüglich einer digitalen Konkurrenzfähigkeit in Erfüllung gehen. Angesichts der drohenden Grabenkämpfe mit der digitalen Konkurrenz sollte die Verbindung der US-amerikanischen mit der europäischen Unternehmenskultur ein Leichtes sein. (Tatjana Rauth, derStandard.at, 1.8.2013)