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Verliebtheit wird gern mit einer gewissen Geistesschwäche in eins gesetzt - weil Verliebte sich schwertun, klar zu denken, bisweilen: überhaupt zu denken. Dabei befähigt gerade dieser Zustand zu einer Art der Erkenntnis, die über reine Verstandesleistung hinausgeht. Wer liebt, muss über die Grenzen des eigenen Ichs hinausgehen, sich der Welt zuwenden.

Das macht angreifbar, weshalb das Lieben auch oft so höllisch böse endet. Aber man ist in dieser Offenheit fähig, Dinge wahrzunehmen und zu verstehen, die man sonst nicht an sich heranlassen würde, jene, die die Welt im Innersten zusammenhalten.

Es ist also zwingend, dass der Held in Eugen Ruges jüngstem, ausnehmend klugen Roman Cabo de Gata sich verliebt. Er ist in der Mitte seines Lebens, "in der tiefsten Krise, pleite, geschieden, erfolglos". Er flüchtet: eine Welt, die ihm Begriffe wie "Marktanteile" oder "Gewinnspanne" zumutet; kurz, er flieht die Bundesrepublik Deutschland, die kurz nach der Wende schon ganz bei sich ist. Er findet sich "tief verstrickt in das Ganze (in die Gesellschaft, das System)" und tut, was ein jeder (und eine jede) tun sollte: Er kündigt seine Gefolgschaft auf. Er sucht Sinn, vielleicht auch Erlösung.

Er landet in dem Fischerdorf Cabo de Gata, auf dem "Kap der Katze". Er möchte dort einen Roman schreiben, gleichwohl, es gelingt ihm nicht. Die Aufzeichnungen über diese Zeit sind später, Jahre später entstanden. Der Versuch eines Erinnerns, als wollte er über die penible Beschwörung der Vergangenheit die Zukunftslosigkeit wiedergutmachen. Das abweisende Fleckchen Erde, auf dem er gelandet ist, die unzugänglichen Menschen, beschreibt Ruge glasklar. Kein Hauch von Prätention - nur ein unhintergehbares Bestehen auf Genauigkeit.

In der Ödnis sucht der Mann nach einem Zeichen. Was er findet, sind Tiere. Einen Einsiedlerkrebs, tot in seiner Behausung entdeckt er, im Sternbild Krebs geboren, gerade als er selbst nach einer Unterkunft sucht. "Hieß das nun Gehen oder Bleiben?" Und dann die Katze. Spät, fast auf den letzten Seiten des Buches begegnet sie ihm und schließt ihm, beinah im Vorüberspringen, das Herz auf. "Kurz, ich benahm mich wie ein Idiot. Ich benahm mich so, wie man sich nur benimmt, wenn man verliebt ist." Von ihr glaubt er, die Geheimbotschaft übermittelt zu bekommen: "Dass nämlich das, worauf ich hoffe, nicht eintreten wird - und zwar, weil ich darauf hoffe." Er glaubt, völliger Gleichmut sei zu erreichen. Die Zeit müsse - "endlich" - stillstehen. Aber das Leben steht nie still. Das Tier wird den Mann verlassen. Er wird diesen Ort verlassen.

Es endet mit einem sterbenden Rochen. "Und, was weiter? Nichts weiter. Es starb." Die Dinge könnten auf etwas verweisen, aber sie verweigern sich. Sind einfach da. Und doch scheint der Mann auf dem Kap der Katze, durch seine Liebe zu diesem Tier, etwas erkannt zu haben, das ihm den Weg zurück in die Welt weist. (Er wurde, wie man erfährt, ein erfolgreicher Autor.) Womöglich, dass es kein Zeichen, keine Botschaft braucht - weil alles längst da ist.    (Andrea Heinz, Album, DER STANDARD, 3./4.8.2013)