Foto: Ulli Grundner/Peter Einhorn

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Foto: Ulli Grundner/Peter Einhorn

Von Ulli Grundner und Peter Einhorn ist ein Reiseführer im Michael Müller Verlag zur Insel Limnos erschienen.

Reiseführer Limnos
Ulli Grundner, Peter Einhorn
Michael Müller Verlag
ISBN 978-3-89953-843-4; 17,90 EUR

Foto: Michael Müller Verlag

Die Landschaft der neuntgrößten griechischen Insel wird von großen Gegensätzen und naturgegebenen Besonderheiten geprägt. Und durch diese Individualitäten bestimmt, ergeben sich die unterschiedlichsten Nutzungs- und Lebensformen von Mensch und Tier. Im Norden dominieren schroffe Felsen die abweisend wirkende Küste. In deren Hinterland sind es Hirten, die alten Traditionen verbunden und gleichzeitig dem Fortschritt folgend, mit ihren nomadisierenden Herden die karge Berglandschaft bestimmen.

Diese oftmals unwegsame Gegend kann mit Felsformationen vulkanischen Ursprungs, die zu allerlei phantasievollen Interpretationen Anlass geben, ebenso aufwarten, wie mit Sanddünen, die den Besucher in die typische Stimmung einer Wüstenlandschaft hineinversetzen. Im Kontrast zum kargen Norden stehen die großen, fruchtbaren Ebenen und sanften Hügel in der Inselmitte. Hier führt der Blick des Beobachters stets zu den beiden riesigen Meeresbuchten von Moudros und Pournias, die bis auf eine wenige Kilometer breite Landbrücke die Insel in zwei Teile teilen. Im Umland von bäuerlich geprägten Orten, wo sich einst die Kornkammer des byzantinischen Reiches befand, trifft man heute auf Menschen die liebevoll ihre Weingärten pflegen und die Ernte einbringen, die auf vulkanischen Böden gereift ist.

Einzigartige Landschaften werden durch die Einstufung als Naturschutzgebiete unter dem internationalen Natura 2000 Prädikat geschützt. Zahlreiche seltene Vogelarten nisten in den steilabfallenden Felsen und auch die in der Ägäis nahezu ausgestorbenen Mönchsrobben sollen in den Gewässern vor der Insel gesichtet werden. In den Marschlandschaften rund um den großen Aliki Salzsee ist eine einzigartige Vogel- und Pflanzenwelt beheimatet, die je nach Jahreszeit zahlreiche Naturbegeisterte und speziell Vogelbeobachter anzieht. Kilometerlange Sandstrände und endlose Buchten bilden die Ostküste von Limnos. Im Westen der Insel entstand die Inselhauptstadt Myrina im Schutz eines dominierenden Felsens mit beeindruckender Festung und zweier, vom Meer her kaum einsehbarer Buchten, die als natürliche Häfen die Entwicklung der Stadt von alters begünstigten.

Einsame Strände und Surferparadiese

Auch den weitgereisten Griechenlandbesuchern, die sich verwöhnt an zahlreiche wunderschöne Strände andernorts erinnern, sei gesagt, dass sie in Limnos auf eine ausgesuchte Vielfalt von Stränden treffen werden. Einmal sind es kilometerlange Strände rings um die Naturschutzgebiete der großen Salzseen im Osten, die zu einsamen Badefreuden aber auch stundenlangen Wanderungen einladen. Zentrale Ziele für die große Familie der Surfsportler sind die Buchten von Keros und Gomati, deren ausgezeichnete Bedingungen weltweit unter Insidern bekannt sind.

Anderen Wassersportlern, wie Tauchern und Schnorchlern, bieten sich ruhige und einsame Reviere an verschiedenen, wenig besuchten Küstenabschnitten. Zum Ausspannen zwischen Meer und Liegestuhl und dazu noch in Reichweite von Bar und Taverne bieten sich in den Touristenzentren im Westen der Insel ausreichend Möglichkeiten. Wer hingegen die Einsamkeit an feinsandigen, kilometerlangen Stränden sucht, der wird im menschenleeren Südosten sicherlich fündig.

Winston Churchill und die Amazonen

Limnos verfügt über beeindruckende historische Stätten, die die abwechslungsreiche Geschichte der Insel über viele Jahrtausende dokumentieren. Ganz im Osten befinden sich die Ausgrabungen der antiken Stadt Poliochni. Die Stadt mit ihren Ursprüngen im 5. Jahrtausend v.Chr. war an Größe und Entwicklungsstufe ihrer weitaus berühmteren Nachbarstadt auf dem türkischen Festland, dem sagenumwobenen Troja, weit voraus. Wichtige Erwähnung findet Limnos bei Homer, lässt doch der berühmte Odysseus auf dem Weg zum trojanischen Krieg seinen Gefährten Philoktetes nach erlittenem Schlangenbiss hilflos zurück. Letzterer verdankt seine Genesung der bis in die osmanische Zeit des 19. Jahrhunderts weltweit bekannten limnischen Heilerde, die in der Nähe eines erloschenen Vulkans abgebaut wurde. Dieser Berg galt wiederum als mythische Werkstatt des Götterschmiedes Hephaistos, der von seinem Vater Zeus vom Himmel geschleudert, hier seine Heimat gefunden haben soll.

Die Ausgrabungen von Hephaistia, der einstmaligen Hauptstadt der Insel sind ebenso ein Muss für jeden Besucher, wie die Tempelanlagen des geheimnisumwobenen, nur auf Limnos und seiner Nachbarinsel Samothraki einstmals gepflegten Kabirenkults. Die bedeutendste Persönlichkeit in der Geschichte der Insel ist die Heldin Maroula. Das wehrhafte Mädchen soll die Griechen im Kampf gegen die Türken gleich einer Jeanne d´Arc angeführt haben. Nicht von ungefähr, denn namhafte Forscher fanden deutliche Hinweise auf den noch in weiten Teilen im Dunklen liegenden Kult der Amazonen, der auf Limnos beheimatet gewesen sein soll. Etwas verwegen ist hingegen die Vermutung, dass sich vor den Küsten der Insel das sagenhafte Atlantis befindet.

Tatsächlich sieht man Spuren von Straßen und Häusern einer versunkenen Stadt im Meer. Die einstige Bedeutung der Insel, über die Jahrhunderte der byzantinischen, venezianischen und türkischen Herrschaft hinweg, wird dem Besucher angesichts der wuchtigen Mauern der riesig anmutenden Festung der Inselhauptstadt Myrina vor Augen geführt. Und schließlich konnte Limnos auch Menschen von Weltruhm, wie etwa Winston Churchill, beherbergen. Dieser nutzte den großen natürlichen Hafen der Bucht von Moudros im 1. Weltkrieg als Truppenbasis im Kampf gegen das Osmanische Reich.

Die Kunst des Genießens

Für den Liebhaber der griechischen Küche entpuppt sich Limnos als echte Erweiterung des kulinarischen Horizonts. Nirgendwo anders wird etwa Kotópoulo me flomária – Huhn mit hausgemachten Flomari-Nudeln serviert. Diese speziellen Nudeln werden in verschiedenen Formen nur auf Limnos produziert. Den inseltypischen Kalathaki-Käse sollte man unbedingt ebenso probieren wie das ausschließlich auf Limnos hergestellte Konfekt Venizeliká. Neben Schafs- und Ziegenfleisch, Kaninchen und Geflügel kommen vor allem auch Köstlichkeiten aus dem Meer, wie frischer Fisch und Meeresfrüchte auf den Teller.

Rund um die Insel gibt es noch – anders als in der leergefischten Ägäis sonst üblich – reiche Fischgründe, selbst Austern und seltene Arten von Muscheln kann man in einigen Tavernen und Restaurants genießen. Die Kultivierung des Weinstocks und die Produktion von exklusiven Weinen hat eine Jahrtausende zurückreichende Tradition auf Limnos. Schon Homer erwähnte die Versorgung der griechischen Truppen mit limnischem Wein während der Belagerung von Troja. In der griechischen Mythologie wird der Ursprung des Anbaus berühmter limnischer Weine einem Enkel des berühmten Weingottes Dionysos zugeschrieben. Heute werden vor allem die weiße Rebsorte „Muskat von Alexandria" und die rote "Kalampaki-Traube" kultiviert.

Alles außer Kitsch

Wichtiger Bestandteil des Lebens auf der Insel ist ein bis heute intensiv gepflegtes Brauchtum. So zeigen etwa die Kechagiades, die limnischen Viehzüchter und Hirten, zu speziellen Feiertagen ihre typischen Tänze, die absolut nichts mit touristischer Show, sondern ausschließlich mit bodenständiger Tradition zu tun haben. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des limnischen Brauchtums wird durch ehemalige griechische Bewohner Kleinasiens beigetragen, die im Zuge des türkisch-griechischen Bevölkerungsaustauschs in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als Heimatlose nach Limnos gelangten. Sie bildeten eigene Gemeinden, in denen über die Jahre die Bräuche aus der verlorenen Heimat an die Jugend weitergegeben wurden.

Ihre Feste und Tänze zeigen das starke Selbstverständnis der einstigen Flüchtlinge und ihrer heute lebenden Nachkommen. Der wohl deutlichste Einfluss auf Sitten und Bräuche geht von der griechisch-orthodoxen Kirche aus. Besonders beeindruckend sind die jährlich wiederkehrenden Wallfahrten zu exponiert liegenden Heiligtümern – wie der Höhlenkirche der Panagia Kakaviotissa oder der Gipfelkirche auf dem Profitis Elias. Zu Ehren des Heiligen Georgs wird rund um seinen Namenstag ein in seiner Art wohl einmaliges Pferderennen durchgeführt. Reiter ohne Sattel auf kraftstrotzenden Pferden liefern sich auf einer eigens für diesen Tag vorbereiteten Rennstrecke leidenschaftliche Duelle. Alle Feiern enden bei geselligem Beisammensein, wo man, dem griechischen Verständnis von Gastfreundschaft entsprechend, schnell vom Fremden zum Freund wird. (Ulli Grundner/Peter Einhorn, derStandard.at, 6.8.2013)