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Kinder unter drei Jahren in einer Kindergrippe: Die rot-schwarze Regierung hat das Angebot ausgebaut, hinkt dem angepeilten Betreuungsziel aber immer noch hinterher.

Foto: APA/Neubauer

Ausbau der Kinderbetreuung

Grafik: Der Standard

Wien - Niedrigere Steuern, höhere Beihilfen, bessere Kinderbetreuung: Auf Familien prasseln dieser Tage haufenweise Wahlversprechen ein. Doch ist diesen Gelübden zu trauen? Tun SPÖ und ÖVP wirklich so viel für Familien, wie sie gerne behaupten?

Die Erfahrung der letzten fünf Jahre lehrt Skepsis. Vor der letzten Nationalratswahl im Herbst 2008 hatte die Regierung eine 13. Monatsrate der Familienbeihilfe eingeführt - um sie zwei Jahre später per Sparpaket im Wesentlichen wieder zu streichen. Die Inflation macht das vermeintliche Nullsummenspiel zum Verlustgeschäft: Seit 2000 verlor die Familienbeihilfe um 30 Prozent an Wert. Die Koalition hat sich unlängst zwar geeinigt, wieder etwas draufzulegen, die Reform aber nicht mehr rechtzeitig vor der Wahl Ende September geschafft.

Motivation für die Väter

Überlebt hat dafür das 2009 eingeführte einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld. Geht ein Elternteil in Karenz, gibt es 80 Prozent des Letztverdienstes (maximal 2000 Euro) für zwölf Monate, machen beide mit, kommen zwei Monate dazu. Die Regierung tat damit das, was Deutschland vorgemacht und progressive Experten empfohlen haben: Die hohe Leistung bei kurzer Bezugsdauer soll Väter motivieren, eine Zeit beim Kind zu bleiben, und Frauen zum raschen Comeback im Beruf verleiten. Weil der Lebensstandard leichter gehalten werden kann, könnten sich, so das Kalkül, auch wieder mehr Paare für Kinder entscheiden - sofern das Angebot an Kinderbetreuung reicht.

In Deutschland ist die Väterbeteilung binnen vier Jahre tatsächlich von 3,5 auf 27,3 Prozent hinaufgeschossen, in Österreich liegt sie unter 20 Prozent - weil es, wie Sonja Dörfler vom Österreichischen Institut für Familienforschung sagt, hierzulande noch kontraproduktive Alternativen gebe. Konsequent wäre gewesen, im Gegenzug die niedrig dotierte, bis zu drei Jahre dauernde Langzeitvariante des Kindergeldes abzuschaffen, meint die Expertin. Diese ist zwar nach wie vor am beliebtesten, entfremde Frauen aber vom Arbeitsmarkt - und nur etwa jeder zehnte Mann macht mit.

"Von Kompromiss geprägten Fortschritt" à la Kindergeld hält Dörfler für typisch: "Die Regierung hat eine Modernisierung vorangetrieben, ist aber oft auf halbem Weg stehen geblieben." Als Halbherzigkeit sieht Dörfler etwa auch den Papamonat, der hierzulande im Gegensatz zu Frankreich, Norwegen und Schweden unbezahlt ist. Rechtsanspruch auf die vier Wochen beim Neugeborenen haben nur öffentliche Bedienstete.

Ähnlich bilanziert Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Die Koalition habe den Weg "in eine moderne Familienpolitik" eingeschlagen, hätte aber durchaus noch "mehr des Guten" umsetzen können.

"Ziemlich viel" (Schratzenstaller) ist beim Ausbau der Kinderbetreuung passiert. Laut Statistik sind die Ausgaben für Kindertagesheime seit 2007 um 50 Prozent auf knapp zwei Milliarden gestiegen (Zahlen von 2011). Zuständig sind die Länder und Gemeinden, doch die Rolle des Auslösers billigt Arbeiterkammer-Expertin Ingrid Moritz der Bundesregierung zu, die seit 2008 an "harte Kriterien" gekoppelte Förderungen ausschüttet. Resultat: Statt 11,8 Prozent wie vor fünf Jahren sind heute 20,8 Prozent der Kinder unter drei in Betreuung, bei den Drei- bis Fünfjährigen stieg die Quote von 84,9 auf 90,6 Prozent.

Die "jahrzehntelangen Versäumnisse" habe die Regierung damit aber noch nicht aufgeholt, sagt Moritz: Laut "Barcelona"-Ziel der EU hätte Österreich bei Kindern unter drei schon 2010 eine Betreuungsrate von 33 Prozent erreichen sollen; nur Wien hat die Vorgabe bis dato erfüllt. Am Land fehlen nicht nur Plätze, auch eng gefasste Öffnungszeiten machen arbeitenden Eltern zu schaffen. Einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gibt es im Gegensatz zu Deutschland nicht.

Dass der Bedarf noch üppigere Investitionen vertragen hätte, hat die Regierung indirekt eingestanden: Ab 2014 will sie die jährliche Anstoßförderung von 15 auf 100 Millionen hochfahren. Die Bahn freigemacht hat ein schleichender Gesinnungswandel in der ÖVP. Mit seinen Plädoyers für Kinderbetreuung und berufstätige Frauen stemmt sich Familienminister Reinhold Mitterlehner gegen die Heimchen-am-Herd-Fraktion in seiner Partei. Bei der SPÖ rennt er damit offene Türen ein.

Kritik von allen Seiten

Ideologische Grabenkämpfe fochten Rot und Schwarz hingegen um ihr Familienrechtspaket aus, das Väterrechte stärkte: Streitet ein Paar bei einer Trennung um die Verantwortung für Kinder, kann das Gericht nun eine gemeinsame Obsorge anordnen - auch gegen den Willen der Mutter. Kritik kam von beiden Seiten: Väterlobbyisten greift das Gesetz zu kurz, Frauenrechtlerinnen fürchten ein Gezerre auf Kosten des Kindes. Weiters im Paket: Obsorgerechte und -pflichten für Patchworkfamilien sowie die Möglichkeit, als Familie einen Doppelnamen anzunehmen.

Wieder nur den halben Weg hat die Koalition bei der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare geschafft. Homosexuelle bekamen auf Druck des Europäischen Gerichtshofes zwar ein Adoptionsrecht eingeräumt, doch gilt dieses nur dann, wenn es sich um ein leibliches Kind von einem der beiden Partner handelt - was Amnesty International harsch als Diskriminierung anprangert. Auch die Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft bekamen Schwule und Lesben lediglich mit Abstrichen gewährt: Im Gegensatz zu den Heteros dürfen sie den Bund nicht am Standesamt schließen.

Dass dabei die ÖVP auf der Bremse stand, ist kein Geheimnis. Warum, hatte ihr heutiger Chef Michael Spindelegger vor Beschluss kundgetan: Er wolle nicht, dass sich eines schönen Hochzeitstages hetero- und homosexuelle Paare über den Weg laufen. (Gerald John, DER STANDARD, 8.8.2013)