Im Fliegenhirn filtern bestimmte Nervenzellen die Richtungsinformation einer Bewegung heraus und leiten diese in sauber getrennte Schichten des Gehirns weiter.

Illustration: MPI für Neurobiologie / Borst

Seit mehr als 50 Jahren existiert ein mathematisches Modell, das beschreibt, wie der elementare Bewegungsdetektor im Fliegengehirn aufgebaut sein müsste. Rätselhaft bleibt dagegen, welche Nervenzellen dazu wie verschaltet sind. Nun haben deutsche Wissenschafter auf diesem Gebiet einen entscheidenden Schritt vorwärts gemacht: Die Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried entdeckten die Ausgangszellen des elementaren Bewegungsdetektors im Hirn der Fliege. Die im Fachjournal "Nature" publizierten Ergebnisse zeigen, dass das Gesehene zunächst in zwei separate Verarbeitungsbahnen aufgetrennt wird. Bewegungen werden dann innerhalb dieser Bahnen nach ihrer Richtung sortiert und weiterverarbeitet.

Vor beinahe 100 Jahren warf der berühmte Neuroanatom Ramón y Cajal einen Blick ins Fliegengehirn und entdeckte dort eine Reihe von Zellen, die er als "merkwürdige Elemente mit zwei Büscheln" beschrieb. Etwa 50 Jahre später postulierte der deutsche Physiker Werner Reichardt aufgrund seiner Verhaltensexperimente an Fliegen die Existenz sogenannter "elementarer Bewegungsdetektoren". Diese Detektoren vergleichen an jedem Punkt im Blickfeld die Helligkeitsänderungen zwischen zwei benachbarten Facetten des Fliegenauges. Daraus wird dann die Richtung einer lokalen Bewegung errechnet - soweit die Theorie. Seit damals spekuliert die Gemeinde der Fliegenforscher, ob die von Cajal beschriebenen "Büschel-Zellen" diese mysteriösen elementaren Bewegungsdetektoren sind.

Forscher beobachten Aktivität von Büschel-Zellen

Die Antwort auf diese Frage ließ lange auf sich warten, denn die Büschel-Zellen sind extrem klein. Viel zu klein, um sie mit einer Elektrode anzustechen und ihre elektrischen Signale einzufangen. Nun gelang Alexander Borst und seinen Mitarbeitern vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie der Durchbruch mit Hilfe eines Kalzium-Indikators. Diese fluoreszierenden Proteine werden von den Nervenzellen selbst gebildet und ändern ihre Helligkeit, wenn die Zelle aktiv ist. So war es den Wissenschaftern endlich möglich, die Aktivität der Büschel-Zellen von Fruchtfliegen unter dem Mikroskop zu sehen und zu messen. Die Ergebnisse belegen, dass diese Zellen tatsächlich die von Werner Reichardt vorhergesagten elementaren Bewegungsdetektoren sind.

Wie weitere Experimente zeigten, lassen sich die Büschel-Zellen in zwei Gruppen aufteilen: Die eine Gruppe (T4-Zellen) reagiert nur auf einen bewegten Übergang von dunkel zu hell, die andere Gruppe (T5-Zellen) wird umgekehrt nur bei Hell-Dunkel-Kanten aktiv. Innerhalb jeder Gruppe gibt es vier Untergruppen, die jeweils nur auf Bewegungen in eine bestimmte Richtung ansprechen – nach rechts, links, aufwärts oder abwärts. Die Nervenzellen dieser richtungsselektiven Gruppen geben ihre Informationen in sauber voneinander getrennte Schichten des nachfolgenden Nervengewebes ab.

In Teilbereichen erblindete Fliegen

Die dort ansässigen großen Nervenzellen nutzen diese Signale dann zur visuellen Kurssteuerung und geben zum Beispiel entsprechend Befehle an die Flugmuskulatur weiter. Letzteres konnten die Wissenschafter belegen: Blockierten sie die T4-Zellen, so waren sowohl die nachgeschalteten Nervenzellen als auch die Fliegen in Verhaltenstests blind für Bewegungen von Dunkel-Hell-Kanten. Beim Blockieren von T5-Zellen wurden Hell-Dunkel-Kanten nicht mehr wahrgenommen. (red, derStandard.at, 11.08.2013)