Ein abgenagtes Brathuhn mit offenem Hosenstall predigt Punk: Iggy Pop führt seiner in Scharen in die Arena geströmten Gemeinde auch mit 66 Jahren noch vor, wie man eine Bühne belebt.

Foto: Christian Fischer

Wien - Man muss das Alter erwähnen. Iggy Pop, der am Samstag zum aggressiven Rock seiner Stooges mit bewährt fettfreiem Oberkörper über die Bühne der Wiener Arena zuckte, ist 66. Seinen Jahren entsprechend lebt der als James Newell Osterberg Geborene mittlerweile in Florida, wo er sein Golfspiel perfektioniert und eine immer ledrigere Haut bekommt. Das ist völlig legitim. Zugleich ist er aber auch immer noch, was er vor 40 Jahren in "Search and Destroy" sang, der "world's forgotten boy", mit einer Mischung aus Wut und Langeweile stets auf Konfrontationskurs mit der Welt. Und das hat natürlich mehr Unterhaltungswert.

Mit den Stooges nahm Pop zwischen 1969 und 1973 drei Alben auf, die sich zwar schlecht verkauften, heute jedoch als Vorläufer all dessen, was später unter dem Schlagwort Punk summiert wurde, gewürdigt wird. Nachdem die Band unter der Last der bekannten Musikbeziehungskiller - zu wenig Erfolg und zu viel Konsum - zerbröselte, wurde Iggy Pop solo zur Legende. Dies weniger aufgrund großer Hits, sondern vielmehr wegen seines Rufs eines Bühnenberserkers, der mit Blut und Erdnussbutter besudelt das Stagediving erfunden haben soll.

2003 kam es schließlich zur teilweisen Reformation der Ur-Stooges, für den bereits 1975 verstorbenen Bassisten Dave Alexander wurde mit dem großen Mike Watt (Minutemen) würdevoller Ersatz gefunden. Nach dem Tod von Gitarrist Ron Asheton erklärte Pop The Stooges 2009 endgültig für Geschichte, wie "Raw Power" 1973 wurde das heuer veröffentlichte Album "Ready To Die" unter "Iggy and The Stooges" mit James Williamson an der Gitarre eingespielt. Der Schwerpunkt der aktuellen Tour liegt daher auf Songs, die in Zusammenarbeit von Pop und Williamson entstanden sind.

Lektionen statt Diskussionen

In der vollen Arena gab es darüber aber so wenig Diskussionen wie Beschwerden über den ins Bier schüttenden Regen. Während die Blitze des pünktlich mit Konzertbeginn loslegenden Gewitters für die einzigen Spezialeffekte sorgten, erteilten die reifen Musikanten eine kompakte Lektion in Sachen Abgrenzungsmusik. Das Zusammenspiel aus vordergründiger Primitivität und nie offen zur Schau gestellter Komplexität hat bis heute nichts von seiner Berechtigung verloren. So bekommt die Show auch nie den Anschein einer Nostalgieveranstaltung. Mag der Iggy auch seine Hüftprobleme haben und an ein abgenagtes Brathuhn mit offenem Hosenstall erinnern, er bleibt doch der immer junge Oberstrolch, der sich einmal als Chansonnier entdeckt und im nächsten Moment "Raw Power" zu einem Mahnmal ohrenfeindlicher Lautstärke abmischt. In seiner Unberechenbarkeit muss man den alten Racker einfach mögen.

Wenn er während "Funhouse", dem Titellied des Stooges-Meisterstücks von 1970, die Bühne von den jungen Fans aus den ersten Reihen entern lässt, nutzen diese gleich die Chance, um den einstigen Gefahrenherd zu busseln oder selbst einmal vor Publikum die Untergatte runterzulassen, ehe sie Steve Mackays Saxofon wieder in den Bühnengraben getrötet werden. In den das Generationentreffen beobachtenden Veteranenzirkeln dreht indessen eine Spaßzigarette ihre Runden.

Eineinhalb Stunden springt, jault, gockelt und röhrt Pop durch das Set, stellt Publikumskontakt weniger durch Ansagen als durch Ausflüge in den Fotograben und das Wedeln seiner Arme her. Die Liebe, die ihm entgegenfliegt, ist durch all die Lärmattacken konstant groß. Den meisten Zuspruch erfahren aber just zwei Abstecher vom Stooges-Repertoire: "The Passenger" und "Louie Louie", die ewige Hymne aller Saubartln. Gut, dass es sie gibt. (Dorian Waller, DER STANDARD, 12.8.2013)