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Der 13. August 2013 ist Weltlinkshändertag - ansonsten ist die Welt aber auf "rechts" gepolt.

Foto: apa/dpa/Tobias Kleinschmidt

Jahrhundertelang hatten Linkshänder mit starken Vorurteilen zu kämpfen. Die Zeiten, in denen "Lefties" zwangsweise auf die rechte Hand umschulen mussten, sind zwar mittlerweile vorbei, tatsächlich entwickeln sich aber auch heute noch viele Linkshänder zu Pseudo-Rechtshändern, ist die Psychologin Barbara Sattler überzeugt. Da der Verlust der dominanten Händigkeit auch schwerwiegende kognitive und psychische Belastungen nach sich ziehen kann, fordert die Expertin mehr Sensibilisierung im Umgang mit Linkshändern.

derStandard.at: Bis Anfang der 1990er-Jahre wurden Linkshänderinnen und Linkshänder im Kindergarten oder in der Schule auf die rechte Hand umgeschult. Welche Motivation ist dahinter gestanden?

Sattler: Das ist natürlich ein weites Feld und geht zurück bis zu den Griechen. Der Mensch in der Antike besaß ja noch kein naturwissenschaftlich gesichertes Wissen darüber wie unser Sonnensystem funktioniert. Es dominierte die Vorstellung, dass die Sonne, wenn sie - mit Blick nach Norden - im Westen, also auf der linken Seite, verschwand, durch die Unterwelt tauchen musste. Indem sie täglich im Osten wieder aufstieg war rechts natürlich positiv besetzt. Dieser bewertende Dualismus wurde vom Manichäisimus übernommen, der wiederum das Christentum beeinflusste. - Das wurde auf das christliche Kirchengebäude übertragen und führte zu Zuordnungen der linken Seite für die Frau, den Teufel oder das irdische Leben.

derStandard.at: Das Mittelalter, aber auch noch die Renaissance waren stark von Mündlichkeit geprägt. Umschulungen auf die rechte Hand dürften hier also relativ selten vorgekommen sein?

Sattler: Da ist die Quellenlage sehr schlecht. Vor der Industrialisierung konnten sich Linkshänder sicher besser dem Druck entziehen, da sie beispielsweise ihr Handwerk zuhause ausübten. Durch die zunehmende Normierung des Lebens wurde es deutlich schwieriger - Militärdienst, die Einführung der Schulpflicht und Industrialisierung sind Bereiche, die ausschließlich die Rechtshändigkeit als Norm kannten. Selbst in den 1920er-Jahren wurden Linkshänder noch als moralisch verwerflich dargestellt. Auch aus der Zeit des Nationalsozialismus gibt es zahlreiche Hinweise, dass Linkshändigkeit verpönt war und häufig umgeschult wurde. Es durfte ja auch nicht die linke Hand zum Hitlergruß erhoben werden.

derStandard.at: Welche Folgen kann eine Umschulung nach sich ziehen?

Sattler: Typische Primärfolgen, die relativ häufig auftreten, sind Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, Raum-Lage-Labilität - also das Verwechseln von links und rechts -, das Verdrehen von Buchstaben, feinmotorische Störungen und Sprachschwierigkeiten wie Stottern und Wortfindungsstörungen. Zu den Sekundärfolgen können vor allem Selbstwertprobleme und eine mit den Umschulungsfolgen in  Zusammenhang stehende Überkompensation durch erhöhten Leistungseinsatz zählen.

derStandard.at: Was passiert im Gehirn, wenn jemand von der linken auf die rechte Hand umgeschult wird?

Sattler: Die nichtdominante Gehirnhälfte muss das Schreiben oder andere feinmotorische Bewegungen steuern und wird dadurch überfordert. Die ursprünglich dominante Gehirnhemisphäre bleibt hingegen unterfordert. Mit bildgebenden Verfahren konnte beobachtet werden, dass umgeschulte Linkshänder beim Schreiben mit der rechten Hand zuerst starke Aktivitäten in der linken Gehirnhälfte zeigen. - Diese Aktivitäten wechseln später rüber auf die rechte Gehirnhälfte - den sogenannten Assoziationsgebieten. Das Ergebnis ist, dass auch ein umgeschulter Linkshänder nicht zu einem Rechtshänder wird, sondern ein Linkshänder bleibt.

derStandard.at: Sie haben die erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder gegründet. Gibt es heute noch viele Kinder, die sich selbst umschulen?

Sattler: Ja, hier ist das Modell-Lernen mittlerweile das größte Problem. Da gibt es schon noch einige Fälle. Es ist glücklicherweise nicht mehr so, dass das von Eltern oder Lehrern ausgeht, sondern das linkshändige Kind selbst sagt: 'Ich möchte so sein wie die Mehrheit' und ahmt das nach, was es für die Mehrheit hält.

derStandard.at: Sie bieten auch Rückschulungen für umgeschulte Linkshänderinnen und Linkshänder an. Was passiert dabei und wie lange dauert so eine Rückschulung?

Sattler: Etwa zwei Jahre, manche brauchen auch länger. Zuerst wird einmal abgeklärt, ob eine Rückschulung überhaupt Sinn macht. Ich würde keinesfalls jedem eine Rückschulung empfehlen. Jeder Mensch geht mit den Konsequenzen der Umschulung anders um und es kommt natürlich auch darauf an wie groß der Leidensdruck ist. Besonders wichtig ist auf jeden Fall, dass der Prozess langsam und behutsam passiert.

derStandard.at: Welche konkreten Auswirkungen hat eine Rückschulung?

Sattler: Manche lassen sich danach scheiden oder trennen sich. - Das ist zwar nicht unbedingt die Absicht, aber so eine Rückschulung kann dem Partner oder der Partnerin auch Angst machen - etwa wenn der 'Rückschüler' dadurch mehr Selbstbewusstsein erlangt und in seinem Leben neu zu starten beginnt. Interessanterweise berichten viele Betroffene davon, dass sich ihre Identität geändert hat und sie mehr zu sich selbst gefunden haben.

derStandard.at: Wie schaut es mit den möglichen Primärfolgen wie Legasthenie aus - Lässt sich diese wieder rückgängig machen?

Sattler: Was derartige Schwierigkeiten betrifft, da will und kann ich nichts versprechen. Sollten die legasthenischen Probleme tatsächlich auf der Umschulung beruhen, dann kann natürlich eine Verbesserung eintreten.

derStandard.at: Wird Linkshändigkeit beziehungsweise die negativen Auswirkungen, die eine Umschulung auf die rechte Hand mit sich bringen können, noch zu wenig wahrgenommen?

Sattler: Diesen Eindruck habe ich schon, denn es wird noch viel zu wenig auf Linkshänder Rücksicht genommen. Es gibt zwar Füller und Scheren für Linkshänder, aber wer kümmert sich am Arbeitsplatz um die Anschaffung solcher Werkzeuge? Zudem stellt sich die Frage, ob Linkshänder die Arbeitsabläufe richtig gezeigt bekommen oder sich das alles selber aneignen müssen? - Eine Krankenschwester, die beispielsweise mit links einen Verband anlegt, muss das spiegelbildlich machen. Im Prinzip orientiert sich alles an der Rechtshändigkeit. - Ich finde das nervig und belastend, und die Linkshänder werden damit ganz schön alleine gelassen. (Günther Brandstetter, derStandard.at, 13.8.2013)