Veröffentlicht wurde Theodor W. Adornos Essay Versuch, das Endspiel zu verstehen 1961. Endspiel, ein Werk Samuel Becketts, war zu diesem Zeitpunkt durchgesetzt. Dennoch gab dem Denker der "negativen Dialektik" die Verweigerung des Iren das Knacken einer harten Nuss auf.

Adorno (1903–1969) erblickte in der beredten Kargheit von Becketts Theater ein Beweisstück für eigene Intuitionen. Als deren wichtigste mag die Einsicht gelten, dass jeder Gedanke an das Ganze der Welt ihrer trübseligen Beschaffenheit im Einzelnen spottet. Die Verhältnisse im entwickelten Kapitalismus sind nicht nur trostlos. Vor dem Hintergrund ihrer zerstörerischen Macht ist jede getätigte Äußerung von Grund auf korrumpiert. Entrinnen gibt es keines. Dialektik, wie Adorno sie gebraucht, dient lediglich zur Entschlüsselung des Unrechtsgehaltes, der sich in allen Manifestationen von "Kultur" widerspiegelt.

Becketts Ästhetik spielt Adorno ideal in die Karten. In Endspiel (1956) scheint der ultimative Nullpunkt jeder Dramatik erreicht. Ein blinder Herr sitzt im Rollstuhl. Sein Knecht muss für ihn hinaus ins Freie blicken, wobei offenbleibt, ob sich "da draußen" überhaupt noch Leben regt.

Mit genialem Gespür erfasst Adorno die Situation. Während die Thesenstücke Jean-Paul Sartres die Theorie des Existenzialismus lediglich bebildern, trägt Beckett die Auflösung des Sinns in die kleinsten Partikel der Sprache hinein. In Becketts leer geräumter Welt ist alles – das Wenige, was noch vorhanden ist – mit Händen greifbar. Dennoch berührt sich das Konkrete unauflöslich mit dem Abstrakten. "Das Engste wird", wie Adorno schreibt, "zum Überhaupt." Die Allgemeinheit des Ganzen werde bei Beckett "durch schlechte Partikularität" reproduziert. Ein größeres Kompliment an die Adresse von Kunst ist von Adorno, dem komponierenden Philosophen der "Neuen Musik", nicht zu bekommen.

Dass in Endspiel die Eltern des blinden Hamm, Nagg und Nell, in Mülltonnen sitzen, gibt dem Denker der Uneigentlichkeit die Richtung vor. Entsorgt werden muss laut Adorno jedweder Glaube an Ontologie (d.h.: die Lehre vom Sein). Nichts, was ist, dürfe stillschweigend vorausgesetzt werden. Scharlatane sind jene, die glauben, eine Äußerung, und sei diese noch so wohlmeinend, verstehe sich von selbst.

Theodor W. Adornos Kampf gegen Lüge und Verblendung in der Kultur versteht nur, wer die zivilisatorische Katastrophe der Vernichtungslager als das Menetekel der Moderne liest. Der Schlüsselsatz lautet: "Nach dem Zweiten Weltkrieg ist alles, auch die auferstandene Kultur zerstört, ohne es zu wissen; die Menschheit vegetiert kriechend fort nach Vorgängen, welche eigentlich auch die Überlebenden nicht überleben können (...)." (Ronald Pohl, DER STANDARD, 14.8.2013)