Strahlt Geborgenheit aus oder nicht - Wissenschafter des MIT zeichneten eine emotionale Karte des Sicherheitsgefühls in Salzburg. Je grüner, desto sicherer.

Illu: Mauro Martino

Die Stadt als lebendiges Gebilde, Ameisenhaufen oder Dschungel - so werden Ballungsräume häufig charakterisiert. Deutlich wird dabei, wie schwierig es ist, sich ein umfassendes Bild von diesem urbanen Gewusel zu machen. Das fordert auch die Wissenschaft heraus.

Sie kann die Entwicklung von Architektur, Stadtplanung und Demografie erheben, das Einkommen und Alter der Bewohner, die Kriminalitäts- und Bildungsraten vergleichen. Doch all diese harten Zahlen spiegeln nur unzureichend die ästhetische Erfahrung wider, die Menschen mit bestimmten Orten verknüpfen. Die österreichische Stadtforscherin Katja Schechtner setzt auf Intuition. Ihr Forschungsprojekt, das sie mit Philip Salesses und César A. Hidalgo durchführt, dreht sich um die Quantifizierung von Emotionen, die an bestimmten Plätzen einer Stadt aufkommen.

Da Ziel: Diffuse Empfindungen sollen in "Wahrnehmungslandkarten" erfassbar gemacht werden. Zu diesem Zweck entwickelten die Wissenschafter am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston ein Web-Tool - in Kooperation mit dem Austrian Institute of Technology (AIT), der Technischen Universität Wien und dem Institut für komplexe Systeme in Valparaiso, Chile.

Hat man eine oder mehrere zu erforschende Regionen festgelegt, sucht ein Zufallsgenerator Fotos aus Google Street View. Auf einer Internetseite werden jeweils zwei Straßenbilder gegenübergestellt und von den Betrachtern nach bestimmten Kriterien bewertet. Gefragt wird etwa "Welcher Ort sieht sicherer aus?", "Welcher Ort sieht wohlhabender aus?" , "An welchem Ort würden Sie lieber Rad fahren?" oder "Welcher Ort ist familienfreundlicher?".

Kartografie der Ungleichheit

Sobald es genügend Einschätzungen der Internetbenutzer gibt, kreiert ein Algorithmus eine Maßzahl für jedes Bild. So kann etwa das Sicherheitsgefühl für einzelne Plätze beziffert werden. "Diese Maßzahlen tragen wir in eine emotionale Landkarte ein", sagt Schechtner. In dem aktuellen Paper der drei Wissenschafter, das kürzlich in der Fachzeitschrift Plos One erschien, geht es um das Kartografieren der Wahrnehmung von Ungleichheiten in einer Stadt.

Die Fallstudie vergleicht New York City, Boston, Linz und Salzburg. Einerseits wollte man mit dieser Auswahl einen Vergleich zwischen Tourismus- und Industriestädten anstellen. Andererseits war es den Autoren wichtig zu zeigen, dass ihre Methode nicht nur in einem kulturellen Kontext funktioniert. Über 7800 Personen aus 91 Ländern verglichen 4000 geografisch verortete Fotos. Während die amerikanischen Bilder von Google Street View genommen wurden, war das für die österreichischen Städte rechtlich nicht möglich. Schechtner und ihre Kollegen fotografierten daher die Orte selbst ab.

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Bezirke in Boston und New York als ungleicher empfunden werden als in Linz und Salzburg. Sprich, die verschiedenen Viertel der amerikanischen Städte werden als voneinander unterschiedlicher wahrgenommen, die Übergänge als abrupter empfunden.

Zentral war auch die Frage, ob die gefühlte Sicherheit mit dem tatsächlichen Wohlstand eines Viertels korreliert. Wenig überraschend zeigt die Studie, dass diese Komponenten zusammenhängen. Was der Methodenkomplex aber erlaubt, ist weiter zu differenzieren. So sind etwa Orte auszumachen, die als sicher, aber nicht wohlhabend wahrgenommen werden; oder aber als unsicher, jedoch einzigartig.

Interessanterweise spiegelt die gefühlte Sicherheit die Kriminalitätsrate wider. "Wir wollten beweisen, dass unsere emotionale Warnehmungslandkarte mit den harten, objektiven Daten übereinstimmt. Also dass die Menschen diese Faktoren sehen können", sagt Schechtner. Die Forscher nahmen die Mordrate einzelner Bezirke von New York City zum Vergleich und erkannten eine Übereinstimmung mit den erhobenen Wahrnehmungen in puncto Sicherheit. Im Gegensatz zu ihrer Multikriterienanalyse würden Studien, die rein auf Durchschnittseinkommen basieren, hier oft zu kurz greifen.

Der Teufel steckt im Detail

Darüber hinaus beschäftigten sich die Wissenschafter auch inhaltlich mit den gesammelten Wahrnehmungen. Sie fragten etwa nach den ausschlaggebenden Details dafür, dass ein Platz als sicher und angenehm oder als unsicher und bedrohlich empfunden wird. In einem Versuch manipulierten sie einige Fotos: Hier ein paar Bäume mehr, dort bessere Beleuchtung, hier ein Graffiti, dort etwas weniger Straßenmüll. Dies beeinflusste die Einschätzungen drastisch. "So können die Maßnahmen herausgefiltert werden, die anzustreben sind, um die positive Wahrnehmung eines Ortes zu erhöhen", sagt Schechtner.

Die Berücksichtigung dieser Faktoren diene nicht nur der bloßen Verschönerung, sondern habe Potenzial für objektive Veränderungen. In dieser Hinsicht ist die "Broken Windows Theory", die in den 1980er-Jahren in den USA entwickelt wurde, ein wichtiger Referenzpunkt der Studie. Sie besagt, dass kleine Anzeichen von Vernachlässigung - wie etwa zerbrochene Fenster, Müll auf den Straßen oder Graffiti - größere Delikte, sprich Kriminalität, nach sich ziehen können. Die Theorie ist vielzitiert, aber auch umstritten. Sie gilt als Basis für die sogenannte Nulltoleranz-Strategie, denn umgekehrt kann man aus der Prämisse schließen, dass durch die Vermeidung von kleinsten Delikten größere verhindert werden können.

Wenn die Autoren der Studie sich auf die "Broken Windows Theory" berufen, geht es ihnen aber vor allem darum, die politische und stadtplanerische Dimension ihrer Forschung zu betonen. "Wir sind immer mehr damit konfrontiert, dass die Städte harte Zahlen wollen, um Veränderungen umzusetzen", sagt Schechtner. So blieben die vielen diffusen und kleinen, aber entscheidenden Faktoren, die die besondere Qualität einer Stadt ausmachen, oftmals unberücksichtigt. Ihr Web-Tool mache diese Qualitäten greifbar und gebe Stadtplanern somit einen wertvollen Werkzeugkasten an die Hand.

Katja Schechtner, derzeit in Boston und Manila stationiert, arbeitet aktuell für das MIT Media Lab und die Asian Development Bank an neuen Konzepten urbaner Mobilität in Asien. Sie interessiert daher besonders, wie es möglich ist, jene Dinge zu erfassen, die man nicht einfach messen kann, "damit wir Städte und Verkehrssysteme bauen können, die von den Menschen angenommen werden".

Das Web-Tool wird stetig weiter mit Klicks gefüttert: 54 Städte werden derzeit unter anderem in puncto Sicherheit, Belebtheit und Langeweile gegenübergestellt. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 14.8.2013)