Gesundheitsminister Alois Stöger und Patientenanwältin Sigrid Pilz im Sommergespräch am Wiener Donaukanal.

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STANDARD: Herr Minister, in Ihrer Amtszeit gab es eine Veranstaltung anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums des Gesundheitsministeriums mit einigen Ihrer Vorgänger. Da hatte man fast das Gefühl, man würde der Gründung einer Selbsthilfegruppe beiwohnen - ist der Ministersessel wirklich ein Schleudersitz?

Stöger: Das Gesundheitsministerium ist sicher ein schwieriges Ressort, weil alle Themen hochemotional sind, und das Ministerium immer schuldig ist, aber wenig Instrumente hat, um mittels Hierarchie Dinge zu entscheiden. Für mich macht aber genau das den Reiz aus - Steuern jenseits von Hierarchie. Die Gesundheitsreform 2013 ist ein Instrument, um diese Steuerung neu zu gestalten. Für mich war es wichtig, dabei die Frage der Macht nicht zu thematisieren. Bisher scheiterten Reformversuche immer an Machtbedürfnissen Einzelner, mit dem partnerschaftlichen Zielsteuerungsmodell ist es uns gelungen, das zu überwinden.

Pilz: Ich finde, mit diesem Steuern ohne Hierarchie machen Sie das Beste aus einem unmöglichen Job. Manchmal hätte ich Ihnen gewünscht, dass Sie ein bisschen durchgreifen können. Was versucht wird, ist: Wir belassen die Strukturen, aber wir hören auf, egoistisch zu sein. Das ist das Machbare in dieser Situation.

STANDARD: Hand aufs Herz: War Ihnen diese Schwierigkeit bewusst, als Sie angetreten sind?

Stöger: Man weiß nicht, was alles auf einen zukommt, wenn man diese Funktion antritt. Das Spannende im Gesundheitsbereich ist ja immer, dass es einen konkreten Menschen gibt, der eine Leistung braucht. Gleichzeitig muss Gesundheitspolitik immer kollektive Perspektiven haben. Diesen Widerspruch muss man gestalten.

Pilz: Genau so, wie wir etwas für den Einzelnen tun, müssen wir insgesamt unsere Zahlen verbessern - zum Beispiel beim Rauchen bei Jugendlichen, da sind wir leider Europameister. Wir haben eine Kultur der Gesundheitsgefährdung.

STANDARD: Bewusstseinsbildung lässt sich ja in fünf Jahren kaum verändern. Wie soll man das weiterhin angehen?

Stöger: Kulturveränderung braucht immer einen langen Atem. Ich habe begonnen, die Gesamternährungssituation zu verbessern, etwa an den Schulbuffets, da erreichen wir bereits 200.000 Kinder.

Pilz: Herr Minister, Ihren Optimismus in Ehren, aber: Beim Übergewicht sind wir bei den Kindern im obersten Drittel der OECD-Statistik. Nur zwölf Prozent der Buben essen täglich Gemüse. Sie müssten darüber nachdenken, ob man nicht Werbung verbieten sollte, deren Ziel es ist, Kindern Produkte zu verkaufen, die für ihre Gesundheit maximal schlecht sind.

Stöger: Das ist eine Frage, wie ich den Staat sehe. Das geht schon in die Richtung eines autoritären Staates. Bei unseren Schulbuffets wird nur für Gesundes geworben.

Pilz: Da muss ich mit Ihnen streiten und bin damit nicht allein: Auch die WHO fordert dieses Verbot. Ich schreie nicht nach dem starken Staat, aber die Kombination Spielzeug und Süßes macht schlechte Ernährung nun einmal attraktiv für Kinder.

Stöger: Ich merke in der Schulbuffet-Initiative, dass es zwar einen langen Atem braucht, dass die Kinder sich aber daran gewöhnen. Der Handel ist da oft auch ein Partner, was aber nicht heißt, dass ich nicht manchmal auch gesetzliche Grenzen setzen muss.

STANDARD: So wie beim Nichtraucherschutz, der halt ein klassischer österreichischer Kompromiss ist.

Stöger: Ich glaube, dass der Kompromiss in einer demokratischen Gesellschaft die geeignete Form der Steuerung ist. Die Antithese zum Kompromiss ist der Krieg.

STANDARD: Man muss ja nicht das Rauchen generell verbieten, aber es in der Gastronomie nicht zuzulassen ist in vielen Ländern längst Standard.

Stöger: Die österreichische Regelung greift zu kurz. Da bräuchte es politische Machtverhältnisse, die das zulassen, derzeit ist das im Parlament nicht regelbar.

Pilz: Ich möchte auf den Kernbereich Ihrer Tätigkeit kommen. Was mir als Patientenanwältin im Magen liegt, ist die Frage der Qualität, insbesondere im niedergelassenen Bereich. Das ist eine Baustelle ohne Ende. Wir haben der Ärztekammer mehrere Beschwerden gemeldet, und es passiert genau gar nichts. Ich wünsche mir, dass die Qualitätssicherung der Ärztekammer entzogen wird und dass man eine unabhängige, staatlich finanzierte Einrichtung mit Durchgriffsrecht schafft.

Stöger: Ich teile die Position, das ist eine dringend notwendige Auseinandersetzung. Qualität muss transparent gemacht werden, der erste Schritt dafür war der elektronische Gesundheitsakt. Damit gehören die Daten dem Patienten, das ist ein gewaltiger Paradigmenwechsel.

STANDARD: Trotzdem bleibt die Frage: Ist die Ärztekammer-Tochtergesellschaft zur Qualitätskontrolle, die ÖQMed, die richtige Konstruktion?

Stöger: Die ÖQmed ist gesetzlich zur Qualitätskontrolle verpflichtet, sie muss ihrer Verpflichtung nachkommen. Wenn die Ärztekammer dazu nicht in der Lage ist, braucht es Änderungen.

Pilz: Ja, das muss man rechtlich ändern. Wenn man der Ärztekammer die Qualitätskontrolle lässt, wird das immer so bleiben. Die Ärzte haben legitime Standesinteressen, die will ich nicht infrage stellen. Aber wie können sie sich selbst kontrollieren? Geben Sie das in die Hände einer unabhängigen Behörde!

Stöger: Wenn die Sozialdemokratie eine absolute Mehrheit im Parlament bekommt, verspreche ich Ihnen das.

Pilz: Das war jetzt eine Werbeeinschaltung.

Stöger: Es würde der Ärztekammer gut anstehen, bei der Qualität keine Kompromisse zuzulassen. Das wäre eine Chance. Dass es manche gibt, die das nicht begriffen haben, ist ein Sonderproblem.

STANDARD: Wie finden Sie es eigentlich, dass die Wiener Ärztekammer einen eigenen Patientenombudsmann hat wählen lassen?

Stöger: Darf ich da schmunzeln? Es schadet der Wiener Ärztekammer nicht, dass sie sich mehr am Patienten orientiert.

Pilz: Der arme Mensch, der in der Ärztekammer sitzt, hat weder eine gesetzliche Grundlage noch Personal. Aber im Ernst: Man sollte zum Beispiel den Patientenentschädigungsfonds der Patientenanwaltschaften auf den niedergelassenen Bereich ausweiten, was impliziert, dass wir dort auch ungehindert Behandlungsfehlern nachgehen können.

Stöger: Das ist eine gute Aufgabe für eine weitere Legislaturperiode.

Pilz: Wir laden die niedergelassenen Ärzte ja jetzt schon ein, mit uns zu kooperieren, und die meisten tun das auch, weil sie sich lieber mithilfe der Patientenanwälte außergerichtlich einigen. Nur die Ärztekammer tut so, als wäre keine Grundlage dafür gegeben.

Stöger: Viele Ärzte gehen weiter als ihre Kammer.

Pilz: Ich möchte nochmals zurückkommen auf unsere schlechten Daten im OECD-Bericht. Wir haben eine hohe Aufnahmerate wegen Diabetes in den Spitälern - gleichzeitig weiß man, dass die Versorgung einer chronischen Krankheit gut im niedergelassenen Bereich aufgehoben ist, dort müssen auch nicht alles die Ärzte machen, vieles kann auch der Pflege übertragen werden. Wir brauchen Versorgungszentren, in denen man etwa Diabetes-Kranke betreut, um Amputationen und Erblindung vorzubeugen.

Stöger: Es ist Teil der Gesundheitsreform, neue Zugänge zu schaffen und die Versorgungssituation chronisch Kranker zu verbessern. Derzeit haben wir keine Zuteilung, wer wofür verantwortlich ist.

Pilz: Und wir sind arztlastig.

Stöger: Das stimmt, die interdisziplinäre Zusammenarbeit fehlt.

STANDARD: Gesundheitspolitische Weichenstellungen sind oft sehr komplex. Wann werden die Patienten erstmals spüren, was in den letzten Jahren passiert ist?

Stöger: Das ist beim individuellen Patienten sehr schwierig, er wird es spüren, wenn er krank ist, und das ist eigentlich zu spät. Entscheidend ist, dass es uns gelingt, Gesundheit im Alltag unterzubringen. Unmittelbar wird aber zum Beispiel der elektronische Gesundheitsakt sichtbar sein, die neuen Leistungen der Krankenkassenambulatorien, oder das Wartezeitenmanagement in Spitälern.

Pilz: Ich möchte gern festhalten, was die Patienten noch spüren sollten: Zum Beispiel sollten sie im Internet qualitätsgesichert nachlesen können: Welches Spital hat welche Leistungen mit welcher Qualität, Fallzahl, Wiederaufnahmerate, Mortalität und so weiter, herunterdekliniert bis in die Gemeindespitäler.

Stöger: Das ist für 2014 geplant, da werden die Daten veröffentlicht. Ob die Patienten diese neuen Leistungen mir zurechnen können, wage ich zu bezweifeln. Das ist das Dilemma meiner Rolle. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 16.8.2013)