But it helps: aus einer Kampagne für eine Großbäckerei, 1961, Agentur DDB

Foto: Aus dem Buch/Taschen Verlag

Peter Russell & Senta Slingerland (Hg.), "Game Changers. The Evolution of Advertising". 49,99 Euro / 312 Seiten. Taschen, Köln 2013

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Die meisten spielen nach den Regeln. Manche wollen die Regeln ändern. Wenn sie Pech haben, werden sie ausgepfiffen oder ausgeschlossen. Haben sie Glück, werden sie zu Pionieren eines neuen Spiels und von den anderen beglückwünscht.

Um Game Changers geht es in einem Buch des Taschen-Verlags über die Entwicklung der Werbung. Es gratuliert "allen Eigenbrötlern, Rebellen, Querköpfen und Unruhestiftern" der Branche, und weil es vom Cannes Lions International Festival of Creativity verantwortet wird, beglückwünscht die Branche damit auch sich selbst. Als Anlass für die Publikation wird der 60. Geburtstag des Festivals genannt. Es habe sich, schreibt der Chef der Cannes Lions Philip Thomas, in den letzten fünf Jahren mehr verändert als in den 55 Jahren davor. Und es liege hier, so ist auf dem Umschlag zu lesen, die "definitive Chronik der Kreativbranche" vor.

Das sind große Worte. Gerade in einem Gewerbe, das sich nach eigener Ansicht immer schneller ändert, sind definitive Darstellungen eigentlich nicht möglich. Wir können annehmen, dass in zehn Jahren ein letztgültiger Überblick sehr anders aussehen wird.

Sei's drum. Die mehr als 300 großformatigen Seiten über den jetzigen Stand der Dinge sind jedenfalls einen neugierigen Blick wert. Sie zeigen Printsujets und Bilder aus Fernsehspots, Online-Werbung und Szenen interaktiver Reklame mithilfe von QR-Codes, sie zeigen die Einbindung sozialer Netzwerke in Kampagnen und - ganz selten - die Skripts von Radiospots. Sie sind grob nach Themen geordnet - "Die Sprache der Populärkultur", "Globale Brands in einer ebenen Welt", "Von Soaps zu Apps" - und damit auch grob chronologisch.

Werbewirksam, kreativ und zielführend

Das Buch führt vor, was eine vielköpfige Jury alljährlich als besonders werbewirksam erachtet, als kreativ und zielführend. Die Sieger bekommen, immer im Juni, Lions überreicht, und die haben sich im Lauf der Zeit vermehrt. Denn Cannes ist zu einer immer umfassenderen Institution herangewachsen. 1954, also eigentlich vor noch nicht 60 Jahren, wurde erstmals die Idee in die Tat umgesetzt, den besten Werbefilm analog zu einem Oscar zu prämiieren - in Venedig, von daher auch die Auszeichnung, dem Markus-Löwen nachempfunden. Erst 30 Jahre später übersiedelte das Festival endgültig nach Cannes, und bald standen Löwen für mehrere Kategorien bereit: für Print und Außenwerbung, Cyber-Aktivitäten, Radio, Direkt- und interaktive Agenturen, für PR und filmisches Handwerk.

2010 wurde erstmals ein "Grand Prix for Good" ausgeschrieben. In einem Buchkapitel geht es denn auch um "Goodvertising: das soziale Gewissen der Werbung". Es stellt ein Anti-Rassismus-Sujet von Toscani für Benetton vor, die Kampagne von Dove, dass jede auf ihre Art schön sein darf und soll, und ein Dutzend weitere Beispiele, wie man für ein irgendwie definiertes Gutes werben kann. Dass das natürlich auch die werbenden Unternehmen ins beste Licht rücken soll, vermerkt der Text zu "Goodvertising" ebenso wie die Tatsache, dass Doves Mutterunternehmen Unilever mit den Werbemethoden, gegen die Dove argumentiert, bestens verdient.

"Wo große Ideen kräftig brüllen"

Auch die übrigen Kapitel sind sorgfältig ediert, was bei Werbe-Wälzern und Kreativ-Annuals keineswegs selbstverständlich ist. Taschen hat sein bewährtes Konzept teilweise umgesetzt - globale Produktion, daher vergleichsweise günstig kalkulierter Preis, und dreisprachig -, allerdings nur in den Einführungen, die Bildbeschreibungen sind lediglich auf Englisch. Er hat aus den Archiven der Lions-Verwalter die raffiniertesten Beispiele zur Verfügung gehabt und sie mit dem in der Branche üblichen Brustton der Überzeugungskunst auf den Markt gebracht: "Wo große Ideen kräftig brüllen", so die Ankündigung des Verlags.

Auf einen alten, aber gültigen Punkt bringt der britische Werber John Hegarty, was effektive Werbung ausmacht: "Geschichten erzählen ist immer noch grundlegend für unsere Erfahrungen", schreibt er in seinem Kommentar. "Trotz der unglaublichen technologischen Explosion lieben wir immer noch Geschichten."

Es ist kein Wunder, dass auch heute, nach mehr als einem halben Jahrhundert, die Cannes-Veranstalter ebenso wie die meisten anderen Chronisten auf die "kreative Revolution" in den Sixties zu sprechen kommen, die die Werbung mit Witz, Ironie und ausgefeilten Texten gewürzt und die Intelligenz der Konsumenten nicht unterschätzt hat.

Vorbild für "Mad Men"

Man kann diese Zeit in nostalgischen Sammelbänden nachvollziehen. When Advertising Tried Harder heißt einer, Remember those Great Volkswagen Ads? ein anderer (dieser übrigens eine gesuchte Rarität, bei Amazon um fast 700 Dollar zu erwerben). Man kann, wenn man schon dabei ist, nachschlagen, wie der große Art-Director George Lois seinerzeit systematisch Prominente für seine kommerziellen Ziele einsetzte ($ellebrity). Oder wie der Texter und spätere Agenturchef Jerry della Femina, eines der Vorbilder für die Mad Men-TV-Serie, auf die Frage, wie man die Geräte des damals noch unbekannten Herstellers Panasonic in Amerika bewerben könnte, mit dem Vorschlag aufwartete: "How about 'From those wonderful folks who gave you Pearl Harbor'?", was dann der Titel seiner Autobiografie wurde.

Game Changers zeigt Beispiele gelungenster Werbung aus den Sechzigerjahren im Schnelllauf: Ohrbach's, VW, Levy's, Avis, Volvo. Es zeigt auch, wie Marken in sozialen Netzwerken, Online-Foren und selbstentfachten öffentlichen Debatten heute immer noch Geschichten erzählen - oder erzählen lassen.

In dieser digitalen Umgebung haben es Eigenbrötler, Rebellen, Querköpfe und Unruhestifter (die erwähnte Eigenwerbung zitiert ihrerseits den Text einer Apple-Kampagne) wahrscheinlich schwerer als seinerzeit, als zwei Worte genügten, um ein buckliges Importwägelchen von den amerikanischen Straßenkreuzern abzuheben: "Think small." (Michael Freund, DER STANDARD, Album, 17./18.8.2013)