Bild nicht mehr verfügbar.

Kultig mehr in der Form denn in der Funktion. Und dennoch überkommt so manchen eine wohlige Welle der Nostalgie, denkt man an all die Stunden, die man über dem Kassettenrecorder gebrütet hat.

Foto: Ocean/Corbis

Bild nicht mehr verfügbar.

>> Hier geht's zur RONDO-Coverstory.

Foto: Corbis/Jason Webber/Splash News

Rob Gordon saß konzentriert vor dem Radio. Stunden verbrachte er damit, "die Kassette aufzunehmen". Ein Tape zu machen sei für ihn "wie einen Brief zu schreiben". Da gebe es jede Menge "auszuradieren, neu zu überdenken und von vorne anzufangen". Wie dem Helden aus Nick Hornbys Bestseller High Fidelity ging es jahrzehntelang Mädchen und Burschen in ihren Zimmern. Sie stellten sich ihre eigene Hitparade zusammen.

Die Chance auf die persönlichen Charts begann mit der Internationalen Funkausstellung 1963. Am 28. August, einem sonnigen Sommertag in Berlin, präsentierte der niederländische Konzern Philips den "Taschen-Recorder 3300". Ein Plastikgehäuse, 1,5 Kilogramm schwer, beworben als "sprechendes Notizbuch". Mit Mikro und "Compact-Cassette", die die Holländer ein halbes Jahr zuvor feierlich der Weltöffentlichkeit präsentiert hatten.

Doch das Gerät nutzten die stolzen Besitzer weniger zum Diktieren, sondern viel mehr für ihren Musikmix made by zu Hause. Zuerst lagen die Privat-DJs dicht und mucksmäuschenstill mit dem Mikrofon vor dem Radio, immer genervt von "Essen ist fertig"-Rufen der Eltern und dem Gepolter der Geschwister, denn jedes Geräusch überlagerte den Gesang der Stars auf der Kassette.

Harte Schnitte

Wenig später sicherten immerhin Überspielkabel und dann sogar Rekorder mit eingebautem Radio das störungsfreie Aufnehmen der "Großen Zehn". Ein Risiko allerdings blieb: ambitionierte Moderatoren, die mit mehr oder weniger witzigen Bemerkungen auf den Anfang oder das Ende des Liedes quatschten.

"Halt die Klappe", also rede verdammt noch mal nicht auf das Songintro bis zum ersten Ton, war damals noch eine der harmlosesten Wutausbrüche. Denn die Moderatorenworte ließen akkurate Übergänge schlicht vergessen. Und dann war noch das große Problem, das nicht genau zu sehen war, wann die Kassette ihr Ende fand. Also brach manch Song mitten im Refrain abrupt ab. Ein Desaster.

Weil aber nun zusätzlich auch die Vinyl-Langspielplatte vom Kumpel auf Kassette kopiert wurde, tobte die Musikindustrie. Schon in der Zeit, als Downloads im Internet noch nicht einmal in der Science-Fiction vorkamen, sah die Branche ihre Existenz bedroht.

"Home taping is killing music"

Und sie reagierte rustikal. Britische Plattenfirmen druckten kurzerhand den blutrünstigen Slogan "Home taping is killing music" zusammen mit einem Totenkopf und zwei gekreuzten Knochen auf ihre Cover. Bei den Alben, die als Musikkassetten im Laden standen, waren an der Oberseite zwei Löcher. So wollte die Industrie sichern, dass ihre Angebote nicht flugs überspielt wurden. Doch die cleveren Käufer ließen vielleicht den ersten Song stehen, stopften dann in die Aussparungen etwas Papier und konnten schon ihre individuelle Kassette bespielen.

In der DDR, wo die Westverwandtschaft begehrte Westplatten über die Grenze schmuggelte, überraschte das sozialistische Radio mit einem Superservice. Am frühen Nachmittag offerierte "Stimme der DDR" in der Sendung Vom Band fürs Band komplette LPs, fein säuberlich jede Seite mit der Sekunde Pause vorne und hinten zum tadellosen Mitschnitt. Die am meisten gebrauchte Kassette hatte 60, also zweimal 30 Minuten Spieldauer.

Zwar reizten die 90er oder 120er, aber je mehr auf die Kassetten passte, desto dünner und empfindlicher war das Band. Trotzdem wollten erfahrene Kopierer im Westen ein ganzes Album auf ihre Kassette bekommen. Doch meist dauerte die Platte länger als 45 Minuten und passte nicht auf eine Seite. Ob 60er, 90er oder 120er, nichts Schlimmeres gab es als diesen verdammten Bandsalat. Mit einem kräftigen Quietschen endete abrupt mitten im angesagten Hit das tolle Tape und kräuselte sich wie Krepppapier.

Nervende Reparaturen

Das Reparieren erforderte Geduld. Entweder mit Bleistift oder einem kurzen Ansaugen holte der genervte Hobby-DJ das gefalzte Band aus dem Plastikrechteck. Zwei schräge Schnitte, dann mit ruhiger Hand das Extra-Klebeband geschickt daraufsetzen, und schon läuft zwar die Kassette wieder wie geschmiert, aber im Nummer-eins-Hit bleibt ein musikalisches Loch.

Nach dem Taschen-Recorder bot Philips fünf Jahre später schon ein Autoradio mit Kassettendeck an, 1979 brachte die japanische Firma Sony den ersten Walkman auf dem Markt. Nicht anders als heute rannten Jugendliche mit großen und kleinen Kopfhörern sowie ihrem Statussymbol durch die Straßen. Das war der endgültige Sieg für das 3,81 Millimeter breite Magnetband. Mit der ersten Chromdioxidschicht rauschten die Kassetten sehr viel weniger. Trotzdem investierten die meisten noch in eine spezielle Reinigungskassette für den Tonkopf.

In Internet-Chats schwärmen die digitalen User von den analogen Erlebnissen ihrer Jugend. Ob sie zugeben, von "Klassenkameraden geklaut" zu haben, ihre "30 Jahre alten Tapes immer noch hören zu können" oder sich erinnern, mit "wie viel Inbrunst und Leidenschaft wir das Booklet gebastelt haben. Das war geil."

iPhone-Hülle im Kassettendesign

Denn flugs verschwanden die Firmenmarken von den A- und B-Seiten, und die Jungs und Mädchen klebten ihr eigenes Cover auf die gefühlvoll komponierten und arrangierten Kassetten. Ob mit schlichtem buntem Velourspapier, selbstgemalten Bildern oder einem Liebesgedicht an die Angebetene. Auf der Innenseite standen, fein säuberlich, Titel für Titel. Die aufgenommene Liedersammlung war oftmals eine romantische Anmache nach dem ersten Engtanz in der Disco.

Wobei es nicht immer nur die schmachtenden Kerle waren, die plötzlich so sensibel und geduldig bastelten. Die Medienwissenschafterin Katharina Schaack beweist in ihrer Diplomarbeit "Das kreative Potenzial der Audiokassette", dass nicht nur die Männer mit einem Mixtape ihre vermeintlichen Bräute gewinnen wollten. Mixkassetten seien "eine Kreuzung aus Liebeserklärung, Selbstdarstellung und Belehrung", schreibt Schaack.

Die Kassetten und ihre Songkollektionen sind nicht nur Erinnerung an vergangene Jugendtage. Immer noch bieten Firmen Ghettoblaster und Walkmen an und im Retrolook erleuchtet ausgerechnet das iPhone in einer Silikonhülle im Kassettendesign. (Oliver Zelt, Rondo, DER STANDARD, 23.8.2013)

>>> Leserumfrage: Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Musikkassette?