Foto: Ricardo Seco

Rabbi meets Streetwear: Auf dem Laufsteg des mexikanischen Designers Ricardo Seco vermischen sich die Stile.

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"Chic Rabbis": 1993 spielte Jean Paul Gaultier bereits mit Elementen ultraorthodoxer Kleidung.

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Eine extravagante Modenschau, wie man sie nicht alle Tage zu sehen bekommt: Den Männermodels baumeln Schläfenlocken vom Kopf, und sie tragen Kippas, ein Kennzeichen orthodoxer jüdischer Männer, die ihre traditionelle Kleidung allerdings garantiert anders kombinieren würden.

Auf dem Laufsteg irritieren nämlich einige Details: Die Verschlüsse der Leder-Kippas erinnern an sportliche Baseballkappen. Und zu den klassisch schwarzen Oversized-Mänteln, die Gläubige bevorzugen, führen die Models Converse-Sneakers vor. Eine wilde Mischung: Rabbi meets Streetwear.

"Urban Orthodox"

Mexikos berühmtester Modemacher, Ricardo Seco, überraschte heuer bei der New Yorker Fashion Week mit einer Herbstkollektion, die sich "Urban Orthodox" nennt und eine gewagte Fusion aus "Hasidic and Hipster" ist, wie ein amerikanisches Modemagazin schrieb. Als Inspiration nennt der Designer seinen Umzug nach Brooklyn. Er lernte seinen Vermieter, einen orthodoxen Juden, kennen und war sofort von dessen Look begeistert. Seco sieht das gelassen: Er kombiniert in seiner aktuellen Schau einfach zwei Stile, die das Straßenbild von Brooklyn nun einmal prägen, den orthodox jüdischen und die sportliche Streetwear.

Mit seiner Faszination für orthodox jüdische Kleidung ist Ricardo Seco in guter Gesellschaft. Bereits 1993 sorgte der Franzose Jean Paul Gaultier mit seiner Kollektion "Chosen People" für heftige Kontroversen. In seiner legendären Show ließ er Supermodels wie Naomi Campbell, Nadja Auermann, Christy Turlington und Linda Evangelista wie ultraorthodoxe jüdische Männer aussehen, auf den Köpfen trugen sie Schtreimels, die markanten orthodoxen Pelzhüte.

Gaultier provozierte damit gleich doppelt, indem er religiöse Kleidung als Mode verstand und sie zudem einer Cross-Dressing-Kur unterzog. Heute stehen seine Entwürfe für "Chic Rabbis" längst im Museum und gelten als Modeklassiker. Gaultier entdeckte seine Begeisterung für jüdischen Schick übrigens ähnlich wie Seco auch in New York. "Ich fand die orthodoxen jüdischen Männer so schön und elegant mit ihren Hüten und riesigen Mänteln, die im Wind flattern", schwärmte Gaultier damals.

Jesus und Allah

"Fusion Couture" war schon immer ein Thema, die Modewelt sucht beständig nach neuen Inspirationsquellen, seien es entlegene Tribals in Afrika oder Proll-Straßenlooks, die plötzlich durch die High Fashion geadelt werden. Warum sollte ausgerechnet religiös konnotierte Kleidung davon ausgenommen sein? Es gab Kollektionen, die sich an Jesus orientierten, und in letzter Zeit schaut man sich auch gern im muslimischen Bereich um.

Der unkonventionelle Modestar Hussein Chalayan etwa dekonstruierte bereits 1998 den muslimischen Chador und erforschte damit auch seine eigenen Wurzeln - er ist türkisch-zypriotischer Herkunft. "Man muss die Tendenz, mit religiösen Codes zu arbeiten, im Kontext von Globalisierung verstehen", sagt die Modeexpertin Elke Gaugele, Professorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien. "Ethnical Fashion boomt zudem gerade, weil eine Rückbesinnung auf Handwerk, Qualität und Verortung stattfindet". 

Dürfen die das denn?

In den innovativeren Blogs ist orthodoxe Mode bereits angekommen. Der stets wagemutige deutsche Männermodeblog Dandy Diary jedenfalls liebt die Hippness jüdischer Mode. David Roth, einer der beiden Blogger, kombiniert einen breitkrempigen Hut, den er beim Jerusalemer Traditionsbetrieb Ferster Hats erstanden hat, zu lässiger Sportkleidung und Schuhen eines koreanischen Modemachers.

Dürfen die das denn? Ist es okay, wenn sich Nichtjuden religiöse jüdische Symbole modisch aneignen? Warum nicht, schließlich beobachtet man auch im orthodoxen Bereich gerade eine immense Aufbruchsstimmung und Öffnung. Gläubig und schick, das muss kein Widerspruch sein, finden zumindest jene Fashionblogs, die orthodoxen jüdischen Frauen ein neues modisches Selbstbild verschaffen möchten.

"Als ich ein kleines Mädchen war, wuchs ich in einem bescheidenen Haushalt in Baltimore auf und träumte von einem glamourösen Leben, von Fashionshows und Partys in New York", schreibt die berühmteste orthodoxe Fashion-Bloggerin Sharon Langert. "Heute sind die meisten meiner Träume wahr geworden: Ich bin eine orthodoxe Jüdin und Mutter, die sich an die religiösen Regeln hält und trotzdem Mode, Glamour und Fun liebt. Ich verspreche euch: Auch Ihr könnt die richtige Balance finden."

Fashion Isha

Langerts Blog "Fashion Isha" ("Isha" heißt auf Hebräisch "Frau") ist die zentrale Orientierungshilfe für Frauen, die Tipps brauchen, wie man "modest" aussieht - d. h. Oberteile trägt, die Ellbogen bedecken, Röcke, die über die Knie gehen und auf tiefes Dekolleté verzichtet -, und trotzdem trendy gekleidet ist. Gläubige Frauen wollen up to date sein und keine dunklen Sackkleider mehr anziehen. Langert etwa schwärmt für die extravaganten Kreationen des 2010 verstorbenen britischen Designers Alexander McQueen. Sie gibt zwar zu, dass McQueens Entwürfe alles andere als bescheiden sind, aber es stecke nun einmal so viel Schönheit in ihnen.

Modische Role-Models und Stilikonen der Hipster-Jüdinnen sind TV-Star und It-Girl Olivia Palermo sowie die britische Herzogin Kate Middleton, beide bevorzugen einen Ladylike-Look, der auf allzu viel Körperfreizügigkeit zugunsten von zeitloser Eleganz verzichtet. Ralph Lauren, Clavin Klein, Diane von Fürstenberg und Burberry sind beliebte Marken bei orthodoxen Frauen. Und erneut hat New York die Nase vorn. In Brooklyn schießen Shops aus dem Boden, die sich auf orthodoxe Frauen spezialisiert haben. Die beiden jüdischen Schwestern Chaya Chanin und Simi Polonsky nennen ihren erfolgreichen Laden "The Frock Swap" und setzen auf High Fashion.

Trotzdem großartig aussehen

Ihre Regale sind voll mit Markenlabeln wie Dries van Noten, Balenciaga oder Jil Sander. "Noch vor zehn Jahren fand man in orthodoxen Shops in Brooklyn die ewig gleich langweiligen schwarzen Kleider", sagen sie. "Das hat sich total verändert, in manchen Ecken wie Crown Heights oder Five Towns sind orthodoxe Frauen, die sich modisch kleiden, mittlerweile sogar die Norm. Wir glauben, dass Frauen sowohl die jüdischen Kleidungsregeln befolgen und trotzdem großartig aussehen können."

Man darf gespannt sein, wann diese Hipster-Jew-Welle auch Wien erreicht. Ein cooles Clubbing gibt es ja seit kurzem bereits: Der Klub Kibbuz bringt regelmäßig Tel-Aviv-Feeling in den Club U am Wiener Karlsplatz. Und modisch ist man dort ohnehin am Puls der Zeit. (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 30.8.2013)