Honda CBR 600 RR: Im Repsol-Look ein öffentliches Ereignis.

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Bauchmuskeln anspannen, locker in den Schultern, Arme abwinkeln - auf der 600 RR die einzig mögliche Sitzposition.

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Der HESD-Lenkungsdämpfer kommt aus der Moto GP und verbessert vollautomatisch die Fahrstabilität.

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Die Doppel-R kann auch schlechte Straßen. Der Fahrer auch. Nur eben nicht besonders lang.

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"Was, du willst mit einer Supersport die Tour nach Kärnten fahren? Da kannst ja auch gleich mit Stöckelbock auf den Berg gehen." Nun - wie hinreichend bekannt, sind die Vergleiche des Herrn glu gelegentlich etwas weit hergeholt. Ich bin bekannt für, sagen wir, den ureigenen Sinn, Erfahrungen selber machen zu wollen. Und aus solcher Erfahrung weiß ich, dass gutes Schuhwerk, nebst geeigneter Kleidung, dem konsequenten Beobachten des Wetters und einer Portion Kondition, für eine erfolgreiche Bergtour unabdingbar ist. Damit schließt sich jetzt doch - hinkender Vergleich hin oder her - der Kreis zur neuen Honda CBR 600 RR. Kondition bringt die nämlich genug mit.

Der 600er Reihenvierzylinder leistet bei 13.500 Umdrehungen 120 PS. Das entspricht bei, vollgetankt, 196 Kilogramm Eigengewicht der RR einem Leistungsgewicht von 1,63. Gut, mit mir drauf sollen es 2,15 sein. Aber das reicht locker, um auf der Zielgeraden des Pannoniarings mit über 250 km/h die Rechts anzubremsen. Sag' ich jetzt einfach so. Ausprobiert hab' ich es nicht. Wir sind ja auf einer Tour und nicht auf der Flucht vor etwaigen Konkurrenten, die sich vielleicht meine Linie abschauen wollen.

Es gibt nur einen Modus

Apropos Linie. Jetzt weiß ich auch, weshalb die ganzen Moto-GP-Piloten gleich dünn wie hoch sind. Kondition und trainierte Bauch- und Rückenmuskeln sind durchaus von Vorteil, will man Spaß an der Doppel-R haben und nach zwei Tagen am Radl nicht direkt den Weg zum nächsten Orthopäden suchen. Bei der Sitzposition gibt es nämlich nur einen Modus, und der heißt Racing. Cojones auf den Tank, Bauchmuskeln anspannen, locker in den Schultern, Arme abwinkeln, Ellenbogen nach außen und je zwei Finger auf Kupplungs- und Bremshebel. Jede andere Sitzposition ist ein Krampf - oder bringt einen mit sich.

Mehr Modi verspricht Honda beim verbauten HESD Lenkungsdämpfer - wenngleich, selber einstellen braucht man dabei nichts. Dieser Honda Electronic Steering Damper ist, wie der Name schon verrät, elektronisch gesteuert und passt die Dämpfung der Fahrsituation an. Es verbessert einerseits die Fahrstabilität bei starker Beschleunigung und hohem Tempo, gleichzeitig soll die Lenkung bei niedrigen Geschwindigkeiten leichtgängig und direkt bleiben, sagt Honda.

Sehr bereitwillig

Ersteres kann ich wohl nur schlecht beurteilen - außer hohes Tempo ist gleichzusetzen mit StVO-konformen 100; na ja, und ein bisserl was halt. Erstaunlich ist aber, wie die RR selbst auf schlechten Straßen liegt. Kein Lenkerflattern, kein Ruckeln, kein Zuckeln. In schlechtbelagte und schlaglöchrige Kurven legt sie sich bereitwillig hinein, ja, will dafür aber eine ruhige, lockere Hand am Gasgriff. Sonst führt die Leichtgängigkeit und Direktheit der Lenkung direkt in den Straßengraben. Denn jeder Millimeter am Gasgriff wird erbarmungslos in Beschleunigung umgesetzt, und diese richtet ja bekanntermaßen das Motorrad auf, vor allem wenn man den Lenker ganz locker hält.

Direkt aus der Moto GP hat Honda für die neue CBR 600 RR nicht nur HESD übernommen, auch fahrwerksmäßig transferieren sie genau von dort das Know-how. Eine Showa-Big-Piston-Vorderradgabel übernimmt ab jetzt die Dämpfung auf der kleinen Supersportlerin. Mehr Grip am Vorderrad und höhere Bremsstabilität verspricht Honda. 

Große Augen

Ich bescheinige, ja, bremst gut. Selbst wenn man lang in die Kurven - und derer gibt's am Weg nach Kärnten viele - hineinbremst und ein wenig im Kamm'schen Kreis spielt, liegt die kleine Doppel-R ruhig und ohne zu eiern auf der Straße. Das Race-ABS setzt am allerletzten Drucker ein und regelt dann schneller, als einem die Augen groß werden, beim übermotivierten Anbremsen nach dem kleinen Regenschauer.

Große Augen machen nur die Leut', wenn die CBR 600 RR im Repsol-Design, mit der neuen Front und den 12-Speichen-Aluminium-Rädern ums Eck kommt. Weniger in der Kalten Kuchl, dort sind die Anrainer Supersportler gewöhnt, aber je Kärnten und Süden es wird, desto mehr riskieren sie schon mal einen Blick. Oder sogar einen zweiten, wenn sie das Mödlinger Kennzeichen sehen und sich vermutlich denken: "Ja, wie hat sich denn der hierher verirrt?"

Ein bisschen gnädig

Honda setzte es sich jedenfalls zum Ziel, mit der CBR 600 RR ein Motorrad zu bauen, mit dem man sowohl auf die Rennstrecke als auch die einen oder anderen Straßenkilometer abspulen kann. Das ist ihnen gelungen. Abstecher in die Kalte Kuchl sind mit ihr locker drin. Wenn einem aber sein Kreuz lieb ist und man am Ende des Tages, beim Wirtn, nicht freiwillig im Stehen essen möchte, ist für eine Tour doch etwas Bequemeres anzuraten. Der Schwärmerei für Big Enduros bei Kilometerfressern reißt mich also nimmer vom Hocker - wenn wir schon beim Sitzen sind.

Mein Fazit nach zwei Tagen am Rücken der RR: Ja, okay, von mir aus: Ihr angestammtes Revier ist der Ring. Und ja, wenn mir jetzt einer kommt, der sagt, dass er mit einer Supersport eine Tour plant, werd' auch ich - nun endlich gemäß meiner Erfahrung - fragen: "Was, mit einer Supersport willst eine Tour fahren?" (Gabriele Gluschitsch, derStandard.at, 9.9.2013)