Taktisch klug ist Barack Obamas Zickzackkurs der vergangenen Tage zu Syrien nicht. Nach der anschwellenden Kriegsrhetorik und der Ankündigung in Washington, es gebe Beweise für den Chemiewaffeneinsatz durch das Assad-Regime, war es überraschend, dass Obama so abrupt auf die Bremse steigt. Obama hatte selbst diese Entwicklung in Gang gesetzt, indem er mit dem Chemiewaffeneinsatz eine "rote Linie" zog und nach dem offensichtlichen Giftgaseinsatz nicht nur bei der syrischen Opposition Erwartungen geweckt hatte, dass ein Militärschlag unmittelbar bevorstehe.

Zwar hätte Obama sein einstiges Versprechen, er werde in solchen Fällen den Kongress einbeziehen, früher einfallen können. Er reagiert auf Entwicklungen der vergangenen Tage und gab sein Dilemma ungewöhnlich deutlich öffentlich zu: Einerseits müsse es eine Reaktion auf den Giftgasanschlag geben, andererseits wolle er nicht an seinem Volk vorbei über Leben und Tod entscheiden.

Außenminister John Kerry gibt den Scharfmacher, Obama den Zauderer und Anti-Bush: Er reagiert auf Kritik und zieht seinen Plan nicht stur durch. Der US-Präsident will den Kongress nicht nur deshalb einbeziehen, weil er die Weigerung, die Abgeordneten bei Militäreinsätzen mitbestimmen zu lassen, bei seinem Vorgänger George W. Bush kritisiert hat. Es geht ihm nicht nur um seine eigene Glaubwürdigkeit, die seit den Enthüllungen über die NSA-Überwachung stark beschädigt ist. Er reagiert damit auch auf Umfragen, dass drei Viertel der Amerikaner einen Angriff in Syrien ablehnen, solange das eigene Parlament nicht darüber beraten hat.

Obama will einen weiteren Fehler vermeiden, den er Bush immer wieder vorgehalten hat: den Unilateralismus und damit die Missachtung der Vereinten Nationen. Spät, aber doch hat der Demokrat erkannt, dass es klüger ist, die Ergebnisse der Mission der UN-Inspektoren in Syrien abzuwarten, statt vorzupreschen und nur Erkenntnisse der eigenen Geheimdienste vorweisen zu können. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an den Irakkrieg 2003: Die vom damaligen Außenminister Colin Powell präsentierten Massenvernichtungswaffen haben sich als Schimäre erwiesen. Handfeste Beweise der UN-Mission würden zudem die Chancen erhöhen, dass Russland und China im Sicherheitsrat von ihrer Vetoposition abrücken.

Obamas Notbremse ist auch eine Reaktion auf die Entscheidung des britischen Parlaments, kein grünes Licht für eine britische Beteiligung an einem Militärschlag zu geben. Damit ist Washington der wichtigste Verbündete aus dem Irakkrieg abhandengekommen. Ob tatsächlich Frankreich als Allianzpartner bleibt, ist längst nicht mehr sicher. Nach der Abfuhr, die sich der britische Premier David Cameron vom Parlament geholt hat, wird François Hollande zwar vermeiden wollen, die Nationalversammlung einzubinden. Aber der Druck nimmt nach Obamas Entscheidung zu, denn wie der französische Präsident hätte auch er einen Militäreinsatz im Alleingang anordnen können. Die Situation in Syrien ist nicht mit jener in Mali zu Jahresbeginn zu vergleichen, wo der französische Truppeneinsatz erfolgreich war.

Auch wenn Obamas Zögern von Beobachtern als Schwäche ausgelegt wird: Damit gibt es noch eine Chance auf eine politische Lösung, ein übereilter Angriff ohne nachhaltige Folgen für das Regime in Syrien hätte die Weltmacht USA erst recht blamiert. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 2.9.2013)