Man stelle sich kurz vor, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hätte beim einzigen TV-Duell dieses Wahlkampfes einen Schwächeanfall erlitten und wäre in die Arme von Moderator Stefan Raab gesunken. Oder ihr Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) hätte zu weinen begonnen. Oder erklärt, dass er Gerhard Schröders Reformagenda eigentlich für ein Folterinstrument hält.

Das hätte jenen Schwung in den deutschen Wahlkampf gebracht, den viele sich vom Duell erhofft hatten. Doch nichts dergleichen geschah. Keiner patzte wirklich groß, keiner war 90 Minuten total unter- oder überlegen. Das heißt nichts anderes als: Weder Steinbrück noch Merkel können sich getrost zurücklehnen, da ihnen das Kanzleramt nach der Bundestagswahl am 22. September schon sicher winkt.

Eines konnte Steinbrück immerhin demonstrieren: Er war nicht nur aufgrund des Sendeformats endlich mit Merkel auf Augenhöhe, er ist es auch persönlich. Man kann nicht sagen, dass Steinbrück weniger das Zeug zum Kanzler hat als Merkel. Auch er "kann Kanzler", wie es sein Mentor Helmut Schmidt formuliert hat.

Dass es mit Rot-Grün nicht dazu kommen wird, hat andere Gründe. Ein Duell von 90 Minuten schafft es nicht, einen monatelangen Wahlkampf mit Pannen vergessen zu machen. Diese sind zum grausamen medialen Selbstläufer geworden. Wo Steinbrück ist, da ist auch Schmach - das hat sich bei vielen Menschen eingebrannt.

Natürlich hat Steinbrück in vielem recht. In Deutschland werden immer noch unwürdig niedrige Hungerlöhne gezahlt. Wohnraum wird in den großen Städten auch für Mittelstandsfamilien unbezahlbar. Dass hier etwas aus dem Lot geraten ist, sehen durchaus auch jene, die nicht persönlich davon betroffen sind.

Aber so groß, dass man Steinbrück deshalb unter donnerndem Applaus den Weg ins Kanzleramt ebnen müsste, ist die Betroffenheit dann auch wieder nicht. "Sie kennen mich", hat Merkel am Sonntagabend in ihrem Schluss-Statement an die Wählerinnen und Wähler gesagt.

Das war taktisch klug, denn darin schwingt die Botschaft mit, man möge sich doch bitte nicht auf Experimente einlassen. Wozu die Pferde wechseln, wenn die Kutsche doch halbwegs bequem fährt? Steinbrück hat dem wenig entgegenzusetzen. Dies und das, jenes und vieles laufe schief in Deutschland, argumentiert er. Aber den vollkommen neuen Gesellschaftsentwurf bleibt er schuldig. Vielleicht geht es dem Land grosso modo wirklich im Moment zu gut, um diesen glaubhaft skizzieren zu können. Viele Menschen wollen sich einfach nicht damit auseinandersetzen.

Also weiter mit Schwarz-Gelb? Mitnichten. Die FDP bleibt bis zum 22. September ein unsicherer Kantonist. Dass sich Merkel dadurch den Wahltag nicht vermiesen lassen will, hat sie beim Duell recht deutlich gemacht, indem sie jegliches Doping für die FDP ablehnte. Beide Stimmen für die CDU, lautet ihre eindringliche Bitte. Keine Mitleidszweitstimmen für die FDP.

Der Fehler, den die CDU vor acht Monaten bei der Landtagswahl in Niedersachsen machte, passiert ihr nicht noch einmal. Da lieh sie der armen FDP so viele Stimmen, dass sie selbst nicht mehr weiterregieren konnte.

Und noch etwas sagte Merkel: "Erst das Land, dann die Partei, zum Schluss die Person." Das ist nichts anderes als eine Einladung zur großen Koalition, sollte es für eine Zusammenarbeit mit der FDP nicht mehr reichen. (Birgit Baumann, DER STANDARD, 3.9.2013)