Alle 20 Minuten sind die Uhrmacher in der Werkstatt von Parmigiani Fleurier angehalten, ihren Blick durch die Fenster auf die grüne Wiese schweifen zu lassen - das entspannt die Augen.

Foto: www.parmigiani.ch

Ein Aushängeschild der Manufaktur: die Bugatti Super Sport.

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Der Manufakturbesuch wurde von Parmigiani Fleurier ermöglicht.

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Goldstaub bedeckt den Boden. Kaum wahrnehmbar, aber doch. Nicht umsonst müssen Besucher von Les Artisans Boîtiers (LAB) in La Chaux-de-Fonds im Schweizer Kanton Neuchâtel Plastikpatscherln über ihre Schuhe ziehen. Solche, wie man sie beispielsweise auch beim Betreten eines Reinraums in einem Forschungslabor trägt.

"Ich möchte Sie bitten, die Überzieher vor dem Verlassen des Gebäudes in den dafür vorgesehenen Container zu geben", sagt Benoît Conrath, der die kleine Gruppe durch die Räume der LAB führt. Hier werden die Uhrengehäuse für die Luxusuhren-Manufaktur Parmigiani Fleurier gefertigt. In einem speziellen Recyclingprozess wird der Kunststoff wieder vom Goldstaub getrennt. "Der Preis für ein Gramm Gold liegt momentan immerhin bei circa 40 Schweizer Franken", erklärt Conrath, gelernter Uhrmachermeister und in der Verkaufsabteilung von Parmigiani tätig.

Computer statt Handarbeit

Conrath muss seine Stimme erheben, um den Lärm der CNC-Maschinen zu übertönen, die komplexe Gehäuse aus verschiedenen Edelmetallen fräsen. Wer sich der romantischen Vorstellung hingibt, dass in einer Uhren-Manufaktur alles per Hand erledigt wird, könnte enttäuscht sein. Längst hat auch hier der Computer Einzug gehalten, der die hochpräzisen Dreh- und Bohrmaschinen steuert.

"Aber spätestens wenn es um das Polieren der Gehäuse geht, ist menschliches Know-how und Erfahrung gefragt", betont Conrath. Denn beim Polieren sollte möglichst wenig Material verlorengehen, daher wird das weiche Edelmetall quasi verstrichen, wie er schildert. Fein säuberlich sortiert liegen dann die polierten Gehäuse, die mit einem Schutzlack gegen Kratzer versehen sind, in speziellen Aufbewahrungsbehältern.

Deutlich ruhiger geht es in der Entwicklungsabteilung zu. Dort werden mithilfe von 3-D-Zeichnungen, die am PC entstehen, Gehäuse designt. In diesem ersten Schritt, wo die kreativen Ideen der Designer einfließen, entscheidet sich bereits, ob und wie eine Uhr später aussehen wird, was machbar ist und was nicht. Jeder Fehler, der hier passiert, kann später teuer kommen. Jedes noch so kleine Bohrloch muss präzise an seinem Platz eingezeichnet sein, damit später in der Fertigung alles perfekt sitzt. "Wir bewegen uns hier im Mikrometer-Bereich", betont Conrath. Die Zifferblätter entstehen nebenan bei Quadrance et Habillage, das im selben Gebäude wie LAB untergebracht ist und ebenfalls für Parmigiani produziert.

Gut Ding braucht Weile

LAB und Quadrance - das sind nur zwei der insgesamt fünf Säulen, auf die sich Parmigiani Fleurier stützt und die unter der gemeinsamen Dachgesellschaft Les Manufactures Horlogères de la Fondation (MHF) untergebracht sind. Hinzu kommen noch die Unternehmen Atokalpa, Elwin und die Vaucher Manufacture Fleurier (VMF). All diese Firmen wurden entweder neu gegründet oder seit 2000 in die MHF eingegliedert. Sie liefern sämtliche Bestandteile mechanischer Uhren.

Wie diese Teile zusammengefügt werden, kann man sich bei VMF, die - 2003 gegründet wurde - ansehen, das in einem modernen, zweistöckigen Fabrikationsgebäude mitten auf der grünen Wiese am westlichen Rand von Fleurier untergebracht ist. Dort montieren Uhrmacher die Werke.

Die Lupe im Auge eingekniffen, tief über das Werk gebeugt, sitzen sie an ihren typischen Werkbänken, deren Tischplatten in Brusthöhe montiert sind. Es herrscht Betriebsamkeit, aber keinerlei Hektik. Gut Ding braucht Weile. Durch große Fenster dringt Tageslicht in die Werkstatt. Alle 20 Minuten sind die Monteure angehalten, den Blick durch die Fenster auf die grüne Wiese schweifen zu lassen. Das entspannt die Augen.

Sandoz und die alten Uhren

VMF entwickelt und fertigt Uhrwerke für Parmigiani in Serie. Ihr Tätigkeitsbereich reicht von Montage, Vormontage und Einschalung hin zu Schulung und Bildung dank einer Werkstatt, die ausschließlich dem Erlernen des Berufs des Uhrenreparateurs gewidmet ist.

Schließlich begann die Geschichte der Uhrenmarke Parmigiani mit einer Restaurierungswerkstatt. Der ausgebildete Uhrmachermeister Michel Parmigiani, Jahrgang 1950, widmete (und widmet) sich der Restauration alter Uhren. Er erweckte einige irreparabel geltende Uhren wieder zum Leben und erregte damit die Aufmerksamkeit der steinreichen Pharma-Familie Sandoz, die ihn mit Aufträgen bedachte.

Von der Sandoz-Stiftung ermuntert, gründete er 1994 eine eigene Manufaktur in Fleurier, an der sich auch die Stiftung mehrheitlich beteiligte. 1996 debütierte er mit der ersten Kollektion, die bereits die Grundzüge und die Philosophie der Marke widerspiegelte: "Geringe Stückzahlen, kunstfertige Handarbeit, feinste Qualität, höchste Detailtreue", wie Conrath aufzählt.

Von der ersten bis zur letzten Schraube

Von der Sandoz-Stiftung alimentiert, wurde Parmigiani Fleurier dank der Integration der oben genannten Schwesterfirmen nach und nach zu einem kleinen Uhrenimperium. Einerseits soll sich Parmigiani nach dem Willen der Stiftung nicht zu schnell entwickeln, andererseits muss man einen industriellen Hintergrund haben, um einen gewissen Qualitätsstandard halten zu können. So werden etwa für VMF als mittelfristiges Produktionsziel 20.000 bis 25.000 Uhrwerke pro Jahr angestrebt.

Es geht immer noch tiefer O An VMF zeigt sich auch der strategische Aufbau des Business. Die Firma soll zunächst Parmigiani mit passenden technischen Lösungen zu einem vertretbaren Preis beliefern, aber auch als rentables Zulieferunternehmen für die gehobene Uhrenindustrie funktionieren. So fertigt das Unternehmen auch für andere Marken wie Hermès und Richard Mille. Hermès hält sogar einen 25-Prozent-Anteil an VMF, hat sich so fixe Rohwerk-Kapazitäten jenseits der ETA gesichert. Auch die anderen Unternehmen innerhalb der Gruppe beliefern externe Kunden. So sind die Maschinen immer ausgelastet, und es kommt Geld ins Haus.

Hier existiert unter einem Dach also das Fachwissen, eine Uhr von der ersten bis zur letzten Schraube entwickeln und herstellen zu können - die Fertigungstiefe liegt bei 90 Prozent. 50 verschiedene Berufe zählt man in der MHF. Nur Uhrgläser und Lederbänder werden zugekauft. Erstere sind aus Saphirglas, dessen Herstellung sehr speziell ist. Letztere werden von Hermès geliefert. Daraus macht man bei Parmigiani auch keinen Hehl. Es geht eben nicht alles. "Solange man in der Schweiz keine Krokodile züchten kann", meinte dazu einmal Parmigiani-CEO Jean-Marc Jacot, "wird das auch so bleiben."

Erfolgreich aber unbekannt

Überhaupt sei Transparenz die einzige Möglichkeit, sich von Konkurrenten abzuheben, die ebenfalls gerne behaupten, eine Manufaktur zu haben. "Diesen Begriff schreiben sich viele auf die Fahnen", seufzt Jacot, der sein gesamtes Berufsleben in der Uhrenindustrie verbracht hat - unter anderem baute er die Uhrenabteilung von Cartier mit auf, leitete den internationalen Verkauf von Omega, war Generaldirektor der Marke Gerald Genta.

Jacot ist seit 2000 Delegierter für Uhrenangelegenheiten der Sandoz-Familienstiftung und Geschäftsführer von Parmigiani - sozusagen das Bindeglied zwischen der Stiftung und der Uhrenmarke. Was kann Parmigiani aber gegen die Entwertung des Begriffs tun? "Transparent sein und sich einem Berufsethos unterwerfen", meint er und fügt an: "Außerdem müssen wir noch deutlicher zeigen, was es bedeutet, eine echte, vollintegrierte Manufaktur zu sein."

Sechs Herren- und Damenuhrenkollektionen gibt es von Parmigiani, 6000 Stück Uhren produziert man heute jährlich, in 60 Ländern ist man vertreten, 600 Mitarbeiter sind es insgesamt. Dennoch ist die Marke der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Aber auch das soll sich in absehbarer Zeit ändern, wie Jacot sagt.

Das Wissen, eine Uhr von der ersten bis zur letzten Schraube herstellen zu können: In der Luxusuhren-Manufaktur Parmigiani Fleuriergibt es das noch. RONDO wurde ein exklusiver Einblick gewährt. (Markus Böhm, Rondo, DER STANDARD, 6.9.2013)