Maigret reist ans Meer. Dort ist an Verdächtigen kein Mangel" (Georges Simenon, Der große Bob). Aber offenbar kommt es Maigret auch auf die Qualität der Verdächtigungen und der Verdächtigen an. Die im Fernsehen viel zu oft auftauchende österreichische Bildungsministerin, eine einfache Lehrerin, die in Universitäten herumgreift, wäre auch in keiner Weise sein "Typ" gewesen, es gibt Landschaften, auch Gesichtslandschaften, die nichts hergeben.

"Eine Landschaft entsteht in meinem Gedächtnis. Wenn ich schreibe, überkommen mich die Bilder." Eine Bemerkung, die man nicht jedem so leicht abnimmt. Wichtig war nicht Simenons Verständnis für Probleme, sondern für Menschen, die unfähig sind, ihre Probleme zu lösen.

"Simenons erstaunlicher Welterfolg ist der erstaunliche Welterfolg des Unhappy End" (Georg Hensel). Und: "Eine Sammlung köstlicher und gut nachkochbarer Rezepte. Original französische Restaurantrezepte, eine traditionelle Küche, die heute wieder die Teller erobert" (New York Times zu Simenon und Maigret bitten zu Tisch). Robert J. Cortière, Kolumnist bei Le Monde, hat die Rezepte vereinfacht und heutigen Essgewohnheiten angepasst.

Ob es möglich ist, Simenon heutigen Lesegewohnheiten anzupassen? Es würde ihm genügen, an heutigen Events ("Ball der toten Ratten, der ,größte Maskenball Europas im März'") teilzunehmen, ausgewählte Routen, die sich ohne weiteres von sich selbst überholen lassen. Maigret lässt sich Zeit, Maigret zögert, Maigret verteidigt sich, Maigret hat Angst.

Er ist einer, der fast nichts unerwähnt lässt und es doch fertig bringt, sich zu verziehen. Wenn auch nur sporadisch. Über zweihundert Bände sind erschienen. Und das übersteht er leicht. Auch die Simplifikationen, Anbiederungsversuche und verunglückten Anpreisungen: "Ich halte Simenon für den besten Realisten, besser als Zola oder Balzac" (Anaïs Nin). Möglich, dass Simenon selbst an diesem hanebüchenen Satz Freude hätte. Oder doch mehr und undurchschaubarer daran, dass auch Paul Celan ihn übersetzt hat (Maigret und die schrecklichen Kinder).

"Die quälenden Momente des ermüdenden Zuhörens" sind verschwunden (die Kronen Zeitung zu Schnitzlers Das weite Land in Salzburg). Bleibt eine andere Hoffnung: Dass das Vergnügen, Simenon zu übersetzen, für Paul Celan mehr als ein Vierteljahrhundert nach seiner Flucht in die Seine nicht verschwunden ist. Und dass, wann auch immer, es möglich wird, mit Celan und Simenon zugleich in Paris unterzutauchen. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 1.8. 2003)