Wenn es um den Krieg und erst recht um den Bürgerkrieg geht, herrschen konfuses Vermuten, Spekulieren und Bezichtigen. Das hat auch damit zu tun, dass bei Kriegen und Bürgerkriegen drei ganz unterschiedliche Akteure mitspielen - das Völkerrecht, die Politik und die Medien.

Völkerrechtlich scheint die Lage ganz klar zu sein. Im Prinzip unterliegen Staaten untereinander dem Gewaltverbot. Erlaubt ist einem Staat Gewalt nur zur Selbstverteidigung, sofern er angegriffen wird, oder auf der Basis eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die Klarheit der Rechtslage wird allerdings durch die 2005 erfundene Behelfsnorm getrübt, die völkerrechtlich nicht anerkannt ist, aber starke Befürworter und quasi alles in sich hat - vor allem das Potenzial zum Brandbeschleuniger.

"Responsibility to protect"

Diese "Norm" heißt "Responsibility to protect" ("Schutzverantwortung") und zielt auf Situationen ab, in denen ein Regime skrupellos gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. In diesem Fall soll eine Intervention - nach einem Beschluss des UN-Sicherheits­rates - erlaubt sein. Die größte Schwäche der "Norm" ist nicht, dass sie dem Missbrauch Tür und Tor öffnet, sondern dass sie auf dem ethischen Gesinnungsbegriff "Verantwortung" beruht. Wer wofür in der Beziehung zwischen zwei oder mehreren Staaten und überhaupt im po­litischen Kontext Verantwortung zu tragen hat, ist völlig offen.

So einleuchtend die Norm für individuell zurechenbare Handlungen sein mag, so diffus wird die Reichweite von Verantwortung, wenn es um Naturzerstörung, Gewalt gegen Minderheiten oder Armut geht. Ethische Gesinnungsbegriffe bilden zwar eine Grundlage für rechtliche Normen, aber jene können direkt nicht folgenlos in diese umgesetzt werden. Wer es dennoch versucht, landet bei Gesinnungsjustiz, "humanitären Bombardements" oder religiös drapiertem Fanatismus.

Wenn das Recht einzelner Staaten, Krieg zu führen, auf den Fall der Selbstverteidigung oder eines Sicherheitsratsbeschlusses beschränkt ist, was berechtigt dann einen Staat, in den Bürgerkrieg eines anderen einzugreifen? Dafür besteht, wie der Hamburger Jurist Reinhard Merkel dargelegt hat (in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 1. August 2013), keine völkerrechtliche Norm, weil die "Staatengemeinschaft" kein Inter­esse hat, sich Handlungsoptionen jenseits des existierenden Gewaltanwendungsverbots gegenseitig zu verbieten. Anders gesagt: Staaten wollen in Bürgerkriege in anderen Staaten eingreifen, und zwar dann, wenn es ihnen nützlich und opportun erscheint.

Und genau das ist momentan der Fall in den Bürgerkriegsländern im Nahen Osten. Mit dem Hinweis auf "Verantwortung", "Interessen" oder gar "Demokratisierung" werden aufständische Fraktionen finanziell, materiell und politisch unterstützt. Das gilt für die massive Unterstützung der ägyptischen Offiziersclique durch die Vereinigten Staaten ebenso wie für die Waffenlieferungen
an syrische Aufständische, von denen man nicht so genau weiß, worauf sie aus sind.

"Regime wie das Assads sind eine Geißel ihrer Völker. Aber Bürgerkriege sind eine schlimmere" (wieder Reinhard Merkel in der "FAZ"). Und zwar deshalb, weil Aufständische oft noch skrupelloser sind im Umgang mit der eigenen Bevölkerung als Staaten. Wurden die Syrer von den Aufständischen gefragt, ob sie den Bürgerkrieg wollen? Und gehen dessen Hauptopfer, die Hunderttausenden von Flüchtlingen, wirklich allein auf das Konto des Regimes, wie viele Medien Lesern und Zuschauern weismachen?

Aufständische handeln nach der Logik, als Unterlegene könnten sie die herrschende Staatsmacht am einfachsten dadurch delegitimieren, dass sie diese mit Kriegsverbrechen und Massaker in Verbindung bringen. Das funktioniert, solange das Publikum die plumpe Legende glaubt, in Bürgerkriegen ließen sich Täter und Opfer wie Böcke und Schafe unterscheiden.

Kostümierte Interessen

Im Windschatten dieser Legende flüchten sich Aufständische als Schafe in die Obhut der Politiker der als "Staatengemeinschaft" kostümierten Interessenten außerhalb des Landes. Den Rechtfertigungschor für Interventionen bilden dann mediale Überbringer von Gräuelnachrichten.

Aber genau damit geraten Politiker der "Staatengemeinschaft" unter selbst erzeugten Handlungszwang. Sie deklamieren laut und zunächst gratis, man müsse sofort eingreifen, wenigstens mit "gezielten Luftschlägen". Der britische Premier David Cameron ist ein "Opfer" davon, und US-Präsident Barack Obama ist auf dem besten Weg, eines zu werden. Angetrieben werden Regierungen oft von willigen Intellektuellen, die gern die spätmittelalterliche Lehre vom "gerechten Krieg" aus­graben wie Bernard-Henri Lévy bereits vor einem Jahr (in "Le Monde" vom 15. August 2012).

Mediale Vermarktung

Damit kommt nach dem Völkerrecht und der Politik der dritte Akteur ins Spiel - die Medien, das heißt die mediale Vermarktung von Krieg und Bürgerkrieg. Lévys Versuch, Frankreichs Politiker zu einer militärischen Intervention in Syrien zu bewegen, scheiterte damals, trotz der Geschichten von "gefesselten Babys und Frauen, mit Messern erstochen und bloßen Händen erwürgt", sowie Bildern des italienischen Fotografen Marco di Lauro von "syrischen" Leichen, die tatsächlich Tote aus dem Irakkrieg zeigten.

Nach den Meldungen über den jüngsten Giftgaseinsatz in Syrien läuft ein zweiter Anlauf. Zwar ist noch nicht einmal geklärt, wer vielleicht Giftgas eingesetzt hat, aber in den Regierungszentralen (insbesondere auch in jener in Paris) weiß man schon, dass "wir" eingreifen müssen.

Womit und mit welchem Ziel? Kriegsberichterstattung besteht zu oft aus Stimmungsmache: Einer ist der Schlächter und begeht Völkermord. Die Aufständischen schießen zwar auch, aber nur die Regierungstruppen töten Menschen. Überboten wird derlei nur noch von ahnungsloser Propaganda: "Der Weg vom Gas zur Atombombe ist kurz" (Leitartikel in der "Süddeutschen Zeitung" vom 26. August 2013).

Das zeugt vom gleichen Sachverstand, den ehedem Adenauer demonstrierte, als er Atombomben als "verbesserte Artillerie" verharmloste. (Rudolf Walther, DER STANDARD, 6.9.2013)