ModeratorIn: Guten Tag, liebe Userinnen und User! Wir begrüßen Bernhard Hayden von den Piraten in unserem zweiten Chat zur Nationalratswahl.

Bernhard Hayden: Hallihallo :)

Franko Pizza: warum sollman Sie wählen und nicht die andere parteien ?

Bernhard Hayden: Weil wir die Einzigen sind, die die Chancen und Gefahren des 21. Jahrhunderts verstehen und versuchen, die Politik mithilfe von neuen Technologien neu zu denken und neu zu gestalten.

Error418: Studieren Sie? Wenn ja, was?

Bernhard Hayden: Wenn nicht der Nationalrat dazwischenkommt, fange ich mit Oktober ein Informatik-Studium an.

iPinguin: Herr Hayden, sie würden gerne die "liquid democracy" im Staat einführen. Könnten Sie dies erläutern, wie sie so ein Vorhaben umsetzen wollen bzw. was sie genau darunter verstehen?

Bernhard Hayden: Punkt 1: Liquid Democracy ist kein System, das man von heute auf morgen auf einen ganzen Staat ausrollt. Dazu sind noch viel zu viele offene Fragen ungeklärt, beispielweise die klassische E-Voting-Problematik, die wir derzeit noch nicht gelöst haben. 2: Liquid Democracy ist ein System, das es allen Menschen ermöglicht, ihre Ideen selbst einzubringen, selbst darüber mitzubestimmen, wie sich diese Ideen im Laufe des politischen Prozesses verändern, und dann im Endeffekt auch selbst darüber abzustimmen, ob man das überhaupt will oder nicht. Das sind alles ganz klare Punkte, wo unser bisheriges politisches System versagt und wo wir auch "analoge" Antworten haben, die wir in der Zwischenzeit einführen können, bis wir Liquid Democracy "marktreif" gemacht haben. Dazu zählt beispielsweise die verbindliche Volksabstimmung nach erfolgreichen Volksbegehren oder die Vetoinitiative, die dem Volk die Möglichkeit gibt, Parlamentsbeschlüsse abzulehnen.

Goaßmaß-3.0: Warum soll denn geistiges Eigentum nicht geschützt werden?

Bernhard Hayden: Auch und gerade beim Urheberrecht sehen wir ganz klar, wie die technologischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts verkannt werden. Einerseits ist es unser (Piraten) bzw. sollte es unser gesamtgesellschaftliches Ziel sein, dass so viele Leute wie möglich an Kunst und Kultur teilhaben können und auch selbst Kunst und Kultur schaffen können. Hier bietet das Internet ganz neue Möglichkeiten, technisch hindert uns nichts daran, zum Beispiel die gesamten literarischen Werke der Menschheitsgeschichte allen Menschen im Internet zur Verfügung zu stellen. Praktisch stehen hier rechtliche Probleme im Weg, beispielsweise viiiiiiel zu lange Schutzfristen von Werken. Hier wollen wir eingreifen, das heißt aber nicht, dass wir allen Künstlerinnen und Künstlern den Lebensunterhalt unter den Füßen wegziehen wollen. Meist existiert dieser Lebensunterhalt gar nicht. Ein mir bekannter Schriftsteller verkauft seine Werke um 20 Euro pro Stück, davon bekommen tut er unterm Strich 1 Euro. Das müssen wir genauso ändern, hier braucht es ein Urhebervertragsrecht.

Myrmix: Wie möchte die Piratenpartei ihre Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen finanzieren? Im Wahlprogramm ist dabei von "Steueranpassung" die Rede, was genau ist damit gemeint? Und haben sie bei der bedingungsbefreiten Variante keine Angst

Bernhard Hayden: Das BGE ist finanzierbar. Einerseits lassen sich hohe Summen aus dem bestehenden Sozialsystem umlegen (Verwaltungsausgaben, Arbeitslosengelder, Pensionsansprüche unter der BGE-Höhe, Familienbeihilfe ...). Andererseits wird durch das BGE eine Steueranpassung notwendig, sodass das BGE bei Höherverdienenden wieder "hereinbesteuert" wird. Mit der Meinung, dass das BGE grundsätzlich finanzierbar ist, stehen wir übrigens nicht allein. Sowohl CDU- als auch SPD-nahe Stiftungen haben die Finanzierbarkeit in Deutschland bestätigt, in Österreich war das BGE auch lange Zeit eine Grundforderung des LIF. Allerdings gilt auch beim BGE: das ist nichts, was man über Nacht einführt. Dafür braucht es zuerst die Einführung eines Mindestlohns, Bildungsreformen, aber auch wissenschaftliche Studien und Modellversuche, die in größerem, mit Österreich vergleichbarem Rahmen fehlen. Insgesamt halte ich das BGE für einen wichtigen Schritt. Was wäre, wenn wir die Arbeitsplätze von Supermarkt-KassiererInnen nicht mehr sichern müssten, sondern durch Technologie ersetzen könnten? Das wäre zwar heute schon möglich, aber in unserem Sozialsystem würde das im besten Fall eine riesige Belastung für den Staat sein. Doch eigentlich (wenn wir aus diesem Denken herauskommen) sind dann tausende Menschen von einer sinnlosen und monotonen Arbeit entlastet worden und können endlich Dinge tun, die sie gern tun.

bestchoice: Wie stehen Sie zur geheimdienstliche Überwachung durch die Amerikaner in Österreich?

Bernhard Hayden: Die geheimdienstliche Überwachung in Österreich sollte sofort eingestellt und aufgeklärt werden. Wenn der Herr Außenminister in fremden diplomatischen Flugzeugen "freiwillige Nachschau" halten kann, wieso nicht auch in der NSA-Villa? ;)

ModeratorIn: Aus dem Forum: Eine User-Frage von lawrenceOfArabia: Was ist der eine Wert/die eine Einstellung, wo die Piraten gegenüber anderen Kleinparteien eindeutig herausstechen?

Bernhard Hayden: 1: Internationalität: Wir sind eine internationale Bewegung, die nicht nur in einem einzelnen Land für eine einzelne Wahl gegründet wurde und für die bei der Wahl mehr oder weniger alles am Spiel steht. 2: Technologie: Alle anderen Parteien verkennen die Chancen und Gefahren des 21. Jahrhunderts und nehmen nicht wahr, wie sehr Technologie unseren Alltag bestimmt und wie sehr sie auch den politischen Alltag revolutionieren könnte.

Malaclyps3: Mit welchen *konkreten* Maßnahmen würden Sie der ausufernden Bespitzelung der Bevölkerung durch Geheimdienste, Behörden und Unternehmen Einhalt gebieten?

Bernhard Hayden: Einerseits bei der staatlichen Überwachung können wir hoffentlich bald im politischen Prozess eingreifen, also die rechtlichen Grundlagen für anlasslose Überwachung wieder entziehen (Stichwort Vorratsdatenspeicherung). Bei Unternehmen braucht es ordentliche Datenschutzrechte, die europaweit durchsetzbar sind. Die EU-Datenschutzgrundverordnung, die derzeit erarbeitet wird könnte hierfür einen passenden Rahmen bieten, derzeit schaut es aber leider nicht danach aus.

EdmondDantes: 'Pirat' wird immer im Bezug auf neue Technologien, Filesharing, etc. gebracht und es ist auch er Punkt für den sie am Stärksten werben. Ist es nicht an der Zeit eine reife Partei zu werden, die nicht nur ein Thema verkauft? Ihre Partei hat ja ein vi

Bernhard Hayden: Stimmt, wir haben ein viel umfangreicheres Parteiprogramm als "nur" "dieses Internet-Zeug". Aber ich glaube fest daran, dass genau das gewissermaßen die ideologischen Wurzeln der Piraten sind und dass sich die meisten, wenn nicht alle Programmpunkte irgendwie davon ableiten lassen.

erwin.haas: Wie stehen Sie zu neuen Steuern; zb. auf bereits vesteuertes Vermögen - "Erbschaftssteuer"

Bernhard Hayden: Ich persönlich halte eine Erbschaftssteuer für eine sinnvolle Maßnahme, allerdings haben wir dazu meines Wissens noch keine Parteiposition.

meryn: Warum sind die Piraten in Deutschland erfolgreicher?

Bernhard Hayden: Sie waren/sind uns in einigen Schritten voraus. Sie haben viel Zeit verwendet, um bundesweite Strukturen aufzubauen, und haben daher auch in vielen Punkten mehr Erfahrung. Beispielsweise sind sie bereits bei der letzten Bundestagswahl angetreten und waren damals die größte außerparlamentarische Partei. Andererseits haben die DE-Piraten auch mit anderen Problemen zu kämpfen als wir, einen Hype versemmelt man halt leider schon sehr leicht, wenn man nicht wirklich darauf gefasst ist.

xhirschix: Wären die Piraten an der Macht, würde dann vermehrt auf offene Betriebssysteme und Programme für Staatsmitarbeiter gesetzt werden?

Bernhard Hayden: Ja. Reicht das als Antwort? :)

Kernel Decker: Wie stehen sie zum Thema "Gleichberechtigung" mit speziellem Fokus auf das Pensionsalter ?

Bernhard Hayden: Gleichberechtigung ist ein sehr wichtiger Punkt für uns, bei dem wir allerdings wenig Expertise mitbringen. Vielleicht will das ja jemand hier im Chat ändern?! Grundsätzlich stehen wir allerdings für eine möglichst rasche Angleichung des Pensionsantrittsalters von Männern und Frauen, wobei im Hinblick auf das BGE sich die Fragestellung auflösen würde.

byron sully: wieso ist die piratenpartei, deren primäre themen datenschutz und privatsphäre sind, gleichzeitig auf facebook präsent? ist das nicht inkonsequent?

Bernhard Hayden: Ich denke nicht, dass jeder, der Facebook nutzt, automatisch auch deren Haltung zu Datenschutz und Privatsphäre unterstützt. Was wäre, wenn du eine Facebook-Seite hättest, mit der du Leute aufklärst, wie sie ihren Facebook-Account löschen könnten und warum sie das tun sollten? Wäre das nicht auch inkonsequent? Fakt ist aber auch, dass wir Social-Media-Plattformen wie Facebook derzeit benötigen, um eine Vielzahl an Menschen zu erreichen. Viele Möglichkeiten, die andere Parteien dafür haben, haben wir nicht. Das möchte ich gar nicht verleugnen.

chargi: BGE schön und gut. Aber wer erledigt dann die Arbeit, die niemand machen will? Und ich rede hier nicht von automatisierbaren Formularstempeleien.

Bernhard Hayden: Auch mit dem BGE haben wir dann immer noch einen Arbeitsmarkt, der auf Angebot und Nachfrage reagiert. Und mit BGE hätten viele Menschen dann erstmals die Marktmacht zu sagen: "Nein, zu dem Preis mach ich das nicht!" Heute ist das oft unmöglich. Mit dem BGE würden dann Arbeiten, die niemand erledigen will, dementsprechend hoch entlohnt werden wie heute schon die Müllabfuhr. Oder man müsste in die Forschung der Automatisation dieser Tätigkeiten investieren. ;)

siebenzwerge: eine zeit lang galten die piraten als politisch unabhängig und lehnten es ab, sich links oder rechts zuordnen zu lassen. in anbetracht ihrer bisherigen antworten scheint das aber nicht länger der fall zu sein. wenn ja, was unterscheidet dann die pir

Bernhard Hayden: Ich persönlich habe nie behauptet, wir wären "politisch unabhängig", das halte ich für unsinnig. Wir sind maximal zu politisch vielschichtig für zweidimensionale Systeme, aber selbst darüber könnte man lang diskutieren. Ich glaube, wir unterscheiden uns von allen Parteien mehr als ausreichend, um einen eigenen Standpunkt im politischen Alltag zu erreichen. Wir unterscheiden uns bei der "Technologiegläubigkeit" grundlegend von allen Parteien, links wie rechts, aber auch in anderen Punkten, bspw. gegenüber der SPÖ beim Ziel der Vollbeschäftigung, den Grünen bei diversen geforderten Verboten, der KPÖ bei der ausgesprochenen Ablehnung von kommunistischen Systemen, den Neos bei der Homo-Ehe ...

die Resi-Tant Evil: Stichwort NSA-Villa und "Spaziergang der Freunde der Architekturfotografie", welcher am Wochenende stattfand: tut es weh, wenn man verschlafen hat, seine Kernkompetenz öffentlich zu machen? Dieser Spaziergang wäre für die Piraten die einmalige Chanc

Bernhard Hayden: Ja, tut es, manchmal ist es unsere Schuld, manchmal auch nicht. Beispielsweise bei der Forderung nach Asyl von Edward Snowden waren wir damals die Ersten in Österreich, am Tag danach in den Zeitungen war das aber maximal ein Nebensatz zur selben Forderung von den Grünen. Shit happens, aber das ist auf jeden Fall ein Punkt, an dem wir noch stark zu arbeiten haben.

espenlaub: Wie steht Ihre Partei zum Thema Korruption und wie wollt ihr diese bekämpfen?

Bernhard Hayden: Wir lehnen Korruption natürlich komplett ab und wollen das mit Transparenz bekämpfen. Alle unsere Parteifinanzen sind öffentlich einsehbar, alle Beschlussfassungen unserer Organe ebenso, auch wie unser Programmgestaltungsprozess abläuft lässt sich bei jeder einzelnen Forderung nachvollziehen. Dasselbe gilt dann auch für unsere Mandatare.

ModeratorIn: Leider ist unsere Zeit schon um. Wie immer konnten nicht alle Fragen gestellt werden. Wir danken Bernhard Hayden für seine Zeit!

Bernhard Hayden: Gerne, danke für die zahlreichen interessanten Fragen :)