Technohelden: Gernot Bonsert und Sebastian Szary alias Modeselektor sowie Sascha Ring (Mitte) alias Apparat sind Moderat. 

Foto: Olaf Heine

Wien - Die Zeiten sind hart. Vor allem auch in der Freizeitindustrie. Von allem gibt es zu viel, aber wir werden gerade im Überfluss arm. Wer soll das alles mit welchem Geld bezahlen? Wer soll das alles hören, lesen, sehen, konsumieren? Die Gesellschaft ist deshalb aus ökonomischen Gründen besessen vom Konzept der Selbstoptimierung. Wenn zwei Dinge halbwegs gut nebeneinander funktionieren, aber niemand mehr dazu bereit ist, wenigstens noch das symbolische Gut der Aufmerksamkeit zu investieren, heißt es umdenken.

Wenn zwei halbgute Sachen halbwegs gut nebeneinanderher funktionieren, könnte man das Ganze doch auch auf ein Produkt eindampfen, das flutscht. Beschwerdechor und Wunschkonzert fusionieren. Kunst und Kommerzialität vereinen sich in der Verwertungskette.

Die Berliner Technomusiker Gernot Bonsert und Sebastian Szary sind im globalen Nachtleben als Modeselektor bekannt, Sascha Ring als Apparat. Erstere kommen vom rohen Basskrawall der 1990er-Jahre. Sie setzen auf jeden Fall darauf, dass das Dach gleich beim ersten Track eines Auftritts abhebt. Eins und zwei und drei und vier: Mit ihrem Gewobble, Geknarze und Geräuschen, die der Laptop macht, wenn man die hässlichsten Sounds des Universums googelt und dabei auf die Klagelaute eines Pfaus oder einen Elefanten mit Blähungen stößt, sind sie keinesfalls für subtile Zwischentöne bekannt.

Sascha Ring hingegen versucht sich mit seinem Soloprojekt Apparat in jüngster Zeit nicht nur an atmosphärischer Theatermusik, etwa für Sebastian Hartmanns Inszenierung von Tolstois Krieg und Frieden bei den Ruhrfestspielen. Sie wurde heuer auch als Album Krieg & Frieden veröffentlicht. Er versucht seit Jahr und Tag und seit den 1990er-Jahren auch, vertrackte und verwackelte, verträumte und erschöpft-euphorische Elektronik für den Bildungsbürger mit klassischen, schwelgerischen Popmelodien zu verbinden.

Schon seit 2002 versuchten beide Acts, ihre jeweiligen Qualitäten gelegentlich gemeinsam als Moderat zu bündeln. 2009 erschien ein erstes, ungemein erfolgreiches, weil für das Image von Berlin als Technowelthauptstadt stehendes Album mit Gastsängern und -rappern wie Seeed, Busdriver oder Paul St. Hilaire. Mit ihrem nun vorliegenden zweiten Album namens II haben sich Moderat nicht weiterentwickelt oder verändert, sondern endgültig konsolidiert. Als Kinder der 1990er-Jahre sind Moderat nun in einem Alter angelangt, in dem man sich auch im Club gern einmal ausruht und lieber im Sitzen weitertanzt.

Zerbrechliche Melodien

Die Beats böllern und stolpern im gemäßigten Tempo bei mittlerer Dringlichkeit. Sascha Ring hat an seiner Gesangsstimme gearbeitet und gibt den Thom Yorke von Radiohead, dem beim Depressiven das Manische fehlt. Die Melodien sind zerbrechlich, die Elefanten leiden immer noch unter Verdauungsstörungen. Zwischendurch brechen die Beats ab, man lässt die Tänzer allein. Keyboardschlieren im Nebel dehnen die Zeit. Dann setzt die erlösende Bassdrum wieder ein - und auch der Pfau quäkt liebeskrank.

Nicht umsonst waren sowohl Modeselektor als auch Apparat schon mit den besagten Radiohead auf Tour. Als Moderat hat man das nicht länger nötig. Die laufende Welttournee und damit auch ihr Wienkonzert heute, Mittwoch, in der Arena sind so gut wie ausverkauft. Wer also nicht mehr in den Genuss einer aufwändigen multimedialen Bühnenlichtshow kommt und Trockeneisnebel schlecken darf, kann sich zu Hause auf der Homepage mit Live-Videos trösten. Man kann in der Disco nicht nur im Sitzen tanzen, daheim kann man überhaupt statt im Club auf dem Sofa Probe liegen. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 11.9.2013)