Alison Goldfrapp singt mit eindringlich raunender Stimme gern von der Kälte, die in die Knochen kriecht.

Foto: Mute Records

Dunkel ist es in dieser Welt, dunkel und verwunschen. Manchmal dringt fahles Licht durch die Löcher am Himmelszelt. Sie nennen es Sterne. In Wahrheit aber ist nur das nachtschwarze Leichentuch von Motten zerfressen. Es liegt von Anbeginn über der Welt, weil alles, alles sterben muss. Sogar die Motten. Die ewige letzte Frage bleibt allerdings, wer das Licht am Ende von allem abdreht. Von wegen Ökobilanz. Egal, die Umrisse der Landschaft und der Geister, die sich darin bewegen, kann man in der Nacht trotzdem herumhuschen sehen. Wenn dann noch ein Wald dazukommt, in dem das alles spielt und der in Sachen Zapfendüster noch eine Schaufel zulegt, kann man sie zumindest erahnen.

Trost kann es jedenfalls nur geben, wenn die Spukgestalten eng zusammenrücken und sich Geschichten erzählen, die den bösen Zauber bannen sollen. Feuerzeuge, Lagerfeuer und Sachen mit Duracell sind jedenfalls verboten. Taschentelefon geht, da kriegen die Geister Gruppentarif und Freiminuten, und jemand muss die Sache schließlich auch aufnehmen, damit man dann ein Video für das Internetz drehen kann.

Horror hat immer Saison

Das ist wunderbar gruselig, man kann dabei aber auch leicht ins Schwelgen geraten. Horror hat immer Saison, vor allem der angedeutete, also so voll schreckliche Sachen, die sich in der Realität zwar anbahnen, aber dann flashmäßig erst im Kopf explodieren.

In Drew etwa träumt Alison Goldfrapp mit knapp am Hauchen vorbeischrammender, zart raunender, beschwörender Stimme vom Tageslicht, das ihr ins Gesicht kreischt, wenn man nur dieses Grabtuch lüften wollte. Damit das nicht allzu heimelig wird, erzählt sie auch vom Schnee, dessen Kälte in die Knochen kriecht. Wenn man erfriert, hat man, kurz bevor der Kreislauf aufgibt, nicht umsonst das paradoxe Gefühl verbrennen zu müssen: "You burn, you crash in dirty snow.".

Das sechste Album des britischen Duos Goldfrapp, das neben Sängerin Alison noch aus dem musikalischen Direktor Will Gregory besteht, nennt sich Tales Of Us. Die zehn Songs bauen textlich auf Rollenprosa und heißen etwa Annabel, Ulla oder Simone. Viel an die Sonne werden alle Protagonistinnen in einer Dreiviertelstunde nicht kommen. Viel Energie wird auch nicht auf die Ausdifferenzierung verschiedener Charaktere verwendet werden. Schließlich verwendete Alison Goldfrapp weite Teile ihrer musikalischen Karriere darauf, gerade auch ihr Autoren-Ich in die Auslage zu stellen.

Seit Felt Mountain von 2000 und den damaligen Anfängen im TripHop hat sich die Band zwischenzeitlich in Richtung kieksigen Elektropops bewegt (Black Cherry, 2003) und landete auch beim britischen Folkrock der frühen 1970er-Jahre (Seventh Tree, 2008). Schließlich wurden auch noch die unverwüstlichen Abba mit ihrem abwaschbaren Allzweckpop bemüht. Im Kern blieben aber Goldfrapp immer der dunklen Seite verpflichtet. Selbst in ihrer kommerziellen Hochblüte waren immer Störfaktoren in der Musik zu hören, die belegten, dass es ganz schön finster werden kann, wenn jemand den Strom abdreht.

Tales Of Us ist nun zumindest zu weiten Teilen mit traditionellen Instrumenten eingespielt worden. Ein 30-köpfiges Streichorchester ist dabei. Man hört Anklänge an jene Musik, zu der sich Geschäftsleute nachts in Hotelbars das Heimweh wegtrinken. Großteils handelt es sich um ruhige, unaufdringliche Balladenkunst, die ihren Reiz erst unter dem Kopfhörer entfaltet. Manchmal drehen Goldfrapp mächtig auf und suchen ihr Heil in italienischen Movie-Scores wie sie etwa Ennio Morricone so nachhaltig einflussreich produzierte, inklusive verstörender Lalala-Chöre. Und auch Scott Walker lugt mit schweren Moll-Gewittern aus dem Orchestergraben um die Ecke.

Im Wesentlichen aber fügen Goldfrapp ihrem Bestreben - trotz aller zeitweiligen Begeisterung für den Dancefloor und das Leben bei Tageslicht -, speziell Isolation, Entfremdung und Verunsicherung zu umkreisen, eine weitere hübsche Fußnote bei. Wie sagte Alfred Hitchcock: "Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität." (Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 13.9.2013)