Ein Exempel statuieren, das machen Politiker bevorzugt im Wahlkampf. Dass sich Indiens Politiker (und in der Folge die Justiz) dem öffentlichen Druck gebeugt haben, hat weniger mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun als mit den Parlamentswahlen in einigen Monaten.

Mit der Verurteilung zur Todesstrafe für die vier Vergewaltiger führt Indien nur den Kreislauf der Gewalt fort. Die Todesstrafe ist die ultimative und unmenschlichste Form der Bestrafung. "Eye for an eye will make us blind", mahnte schon Mahatma Gandhi. Nicht das Strafmaß, sondern die Wahrscheinlichkeit, zur Verantwortung gezogen zu werden, entscheidet über die abschreckende Wirkung.

Das Gemetzel an jener Studentin - anders kann man es nicht nennen - war in der Tat grauenvoll und bestialisch. Dass ihre Eltern und Freunde das Todesurteil begrüßen, ist emotional verständlich, aber kein humanes Rechtsverständnis. Vier gehängte Vergewaltiger ändern nichts daran, dass in Indien alle 20 Minuten eine Frau missbraucht wird. Hunderttausende sind es jährlich. Verfahren werden jahrelang verschleppt, die Opfer von der Polizei gedemütigt und nicht selten von den Familien verstoßen.

Es wird Jahrzehnte dauern, die Ursachen für Gewalt und Unterdrückung - angefangen bei einengender Sexualmoral bis hin zu Bildungsmangel - auszumerzen. Jetzt ist der Moment für Politiker, als moralisches Vorbild zu handeln. Die indische Gesellschaft ist wachgerüttelt. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 14./15.9.2013)