Ein freier Mann erlebt seinen Albtraum und findet sich unter Arbeitssklaven wieder: Chiwetel Ejiofor (Dritter von rechts) in Steve McQueens prämiertem Film "12 Years a Slave". 

Foto: Tobis

So etwas nennt man wohl einen Start-Ziel-Sieg in der Kategorie Festivalfilm: Steve McQueens Drama 12 Years a Slave war vor zehn Tagen die erste wirklich umjubelte Premiere in Toronto, und zum Abschluss gab es dann auch noch einen Preis. Er kam von der Jury, die im populistischen Amerika als die wichtigste gilt: dem Publikum, das eingeladen war, über den People's Choice Award abzustimmen.

Selten gab es einen Film, der die Charakteristik dieses aufstrebenden Festivals besser auf den Punkt hätte bringen können. Denn beim TIFF, wie das Toronto International Film Festival in der Branche genannt wird, gibt es keinen Wettbewerb, wie etwa in Venedig, das eine Woche vorher beginnt und alles tut, um sein Prestige gegen die vor allem kommerziell starke transatlantische Konkurrenz zu wahren. Beim TIFF laufen andere, inoffizielle Wettbewerbe: die Käuferstatistiken der internationalen Branche und die Startaufstellung für die Oscars des Frühjahrs.

Steve McQueen zielt mit 12 Years a Slave deutlich auf diesen Preis ab. Das ist vor allem deswegen interessant, weil er eigentlich als erfolgreicher bildender Künstler und als Regisseur stark stilisierter Dramen bisher andere Märkte bearbeitet hat. Doch nun hat er so etwas wie einen Spielberg-Film für die ästhetisch versierten Stände gemacht. McQueen erzählt auf Grundlage eines Schicksals aus dem 19. Jahrhundert von Solomon Northup, einem freien Afroamerikaner, der 1841 in Washington gekidnappt und nach Louisiana verkauft wurde. Das ganze Elend der Plantagenwirtschaft, der sexuellen Ausbeutung, der zerrissenen Familien wird noch einmal in packender Form dargestellt.

McQueen lässt seine epische Anstrengung in einer Plansequenz gipfeln, die in einer virtuosen Handkamerachoreografie die Auspeitschung einer Sklavin namens Patsy zu dem Fanal einer unmenschlichen Ordnung werden lässt. Es ist eine Szene, die in ihrem exzessiven Formalismus auf den Künstler McQueen zurückverweist und zugleich seine filmischen Mittel, einen überhöhten Naturalismus, prekär werden lässt.

Wikileaks als Spielfilm

Künstlerisch deutlich weniger ambitioniert (und auch nicht überzeugend) erschien hingegen der eigentliche Eröffnungsfilm des TIFF 2013, die internationale Großproduktion The Fifth Estate, in der Benedict Cumberbatch den Wikileaks-Gründer Julian Assange spielt. In kaum fiktionalisierter Form wird hier noch einmal die Geschichte erzählt, die Alex Gibney in seinem Dokumentarfilm We Steal Secrets deutlich spannender und plausibler aufbereitet hat. Daniel Brühl soll in der Rolle des Deutschen Daniel Domscheit-Berg so etwas wie der Vertrauensmann für die halbwegs klar denkende Öffentlichkeit sein, während Assange als brütender Egomane einmal mehr schlecht wegkommt. Bill Condon inszenierte The Fifth Estate als fades Hin und Her zwischen Flughafen-Lounges, Chaos-Computer-Kongressen und Redaktionsbüros.

Nordamerikanische Premieren dominierten in diesem Jahr stärker als sonst. Das hat auch damit zu tun, dass in den Genres weiterhin sehr interessante Arbeiten entstehen: Jason Batemans Regiedebüt Bad Words etwa ist eine clevere Komödie um einen anfangs unsympathischen Vierzigjährigen, der sich (superskandalös) in einen Kinderwettkampf drängt; Eli Roths The Green Inferno schließt das Folterhorrorgenre mit den Cannibal Holocaust-Filmen der 70er-Jahre kurz, lässt dabei eine Gruppe engagierter Jugendlicher unter fantasievoll bemalte "Wilde" im Regenwald fallen, und bringt dabei auch noch das Thema Klitorisbeschneidung ins Spiel - ein Exploitation-Exzess, allerdings ein gelungener, wenn man einschlägige Maßstäbe anlegt.

Bei solchen Filmen bildet Toronto einfach den Rahmen für eine Art Vorspiel für die kommerzielle Auswertung. Bei anderen aber hängt von der Festivalreaktion eine Menge ab. So könnte es etwa bei You are Here sein, dem Spielfilmdebüt von Mad Men-Schöpfer Matthew Weiner. Diese ein wenig zu stark auf Balance zielende Komödie mit Owen Wilson und Zach Galifianakis im Streit um einen hinterlassenen Bauernhof in einem idyllischen Countryside-Amerika muss man vermutlich als durchgefallen werten.

Dabei hat You are Here durchaus seine Qualitäten. Es sind nur nicht solche, die sich einem ereignishungrigen Festivalpublikum sofort erschließen. Insofern muss man auch das TIFF 2013 ein wenig gegen den Strich lesen, sonst kommt am Ende nur Steve McQueen heraus. (Bert Rebhandl aus Toronto, DER STANDARD, 17.9.2013)