Ästhetische Zeitreise auf den Spuren der Entwicklung des Wiener Stils.

Foto: MAK/Georg Mayer

Wien - Wien um 1900: Innert 0,24 Sekunden generiert der Marktführer unter den Suchmaschinen 738.000 Treffer und damit ein für das digitale Zeitalter beispielhaftes Datengewirr. Ohne jedweden Nutzen, will man sich über diese Epoche informieren und ihr innewohnendes Phänomen erfassen. Aus der Fülle gilt es folglich das Repräsentative und zeitgleich das Wesentliche zu sortieren. Ob virtuelles Informationsdickicht oder mit Tausenden von Objekten gefüllte Museumsdepots: Die Aufgabenstellung ist insofern eine vergleichbare.

Im Falle des Museums für angewandte Kunst (Mak) und dessen thematisch zugehörigen und genreübergreifenden Sammlungsbestand übertrug Christoph Thun-Hohenstein die Agenden an Christian Witt-Dörring.

Vorweg: Zur Positionierung des Mak als internationales Kompetenzzentrum der damaligen künstlerischen Reformideen hätte der amtierende Herr Direktor keine bessere Wahl treffen können. Bis 2004 zeichnete Witt-Dörring ein Vierteljahrhundert an diesem Haus für die Möbelsammlung zuständig und perfektionierte seinen kuratorischen Blickwinkel seither über zahlreiche Ausstellungsprojekte etwa für die Neue Galerie (New York).

Als zentrales Thema seines Drehbuchs definierte er die Suche nach einem modernen demokratischen und bürgerlichen Stil in Wien, die auch ganz essenzielle Fragen inkludierte: nämlich woher dieses Bedürfnis kam und wohin die erzielten Lösungsansätze führten. Einen konkreten Einblick in das neue und vor allem inhaltlich wie zeitlich (von 1890 bis 1938) erweiterte Konzept gewährte das Mak über eine temporäre Präsentation seit November vergangenen bis Juni dieses Jahres.

Mangelndes Licht, fehlende Objektbeschriftungen wurden bei dieser Ouvertüre ebenso bekrittelt wie die etwas sehr dicht geratene "Bemöbelung", für die wahlweise der Übermut oder die Unschlüssigkeit des Kurators samt einflüsternden Kustoden herhalten mussten. Geschichte.

Wohldosierte Komposition

Nun, knapp zwölf Monate später, ist das Opus, das nicht weniger als eine "sinnliche Zeitreise in die ästhetische Eleganz des epochalen Kunsthandwerks der Wiener Moderne" verspricht, vollbracht. Begleitet von einem druckfrischen Mak / Guide Wien 1900. Design / Kunstgewerbe 1890- 1938 (Prestel-Verlag, München) für wohlfeile EUR 9,90.

Ein wohldosiert komponierter Dreiakter, der das grundlegende Unterhaltungsbedürfnis der breiten Besuchermasse ebenso zu bedienen versteht, wie er über alle Etappen ein gewisses Potenzial für das versiertere Publikum birgt. Beginnend beim Historismus, den es in den Jahren 1890 bis 1900 "auf der Suche nach einem modernen Stil" (Saal 1) zu einer zeitgemäßen Auffassung zu überwinden galt. Gezeigt werden hier vor karmesinroten Wänden neben Wiener Exponaten solche aus England, Schottland, Belgien, Frankreich, Deutschland und Japan sowie von ihnen inspirierte, in den Fachschulen der Monarchie entstandene Arbeiten. Auf den Spuren der Entwicklung des "Wiener Stils" (Saal 2) begegnet man den charakteristischen Sezessionisten, die in ihrer geometrischen Strenge den gefälligen Kontrast zur kurvigen Manieriertheit der Franzosen bilden. Umgesetzt in vielerlei Gestalt von Künstlern der Wiener Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätte. Weiter führt das formale Repertoire über klassizistische Elemente und vegetabiles Raffinement bis zu rokokoaffinen Kreationen eines Dagobert Peche.

Die dritte und letzte Station beleuchtet die Entfaltung "Vom Wiener Stil zum internationalen Stil" (Saal 3). Hier warten inhaltlich zweideutige Lösungsansätze für zeitgemäße Gebrauchsgegenstände (Josef Frank, Oskar Strnad), die im Dialog mit internationalen Objekten der De-Stijl-Bewegung und des Bauhauses stehen.

Und, obwohl es sich um eine auf Permanenz ausgerichtete Präsentation handelt, bleibt Abwechslung garantiert. Den internationalen Leihverkehr nicht berücksichtigend, ist der Tausch konservatorisch vorgegeben: Arbeiten auf Papier wechseln alle sechs, Textilien alle zwölf Monate. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD, 17.9.2013)