Kroatien war noch nicht in der EU, da hatten seine politischen Repräsentanten schon die schlechten Gewohnheiten angenommen, die den Umgang vieler "alter" Mitgliedstaaten mit zentralen Werten und Institutionen der Union kennzeichnen, wenn sie vermeintliche nationale Interessen bedroht wähnen.

Drei Tage vor dem EU-Beitritt des Landes mit 1. Juli dieses Jahres verabschiedete das Parlament in Zagreb ein Sondergesetz. Es verhindert die Auslieferung des Ex-Geheimdienstlers Josip Perković an Deutschland. Gegen Perković liegt ein Europäischer Haftbefehl vor. Er wird für den Mord an dem Dissidenten Stjepan Djureković im Jahr 1983 - noch zu Zeiten des titoistischen Jugoslawien - im bayerischen Wolfratshausen verantwortlich gemacht.

Es ist offenkundig, dass die "Lex Perković" nicht nur einen Vertragsbruch, sondern, wie EU-Justizkommissarin Viviane Reding sagt, auch einen eklatanten Vertrauensbruch darstellt. Gebrochen wurde das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit aller Mitgliedstaaten gemäß den gemeinsamen Normen und Werten. Wer dieses Vertrauen aufs Spiel setzt, untergräbt das Fundament der Union.

Kroatiens linker Premier Zoran Milanović, an sich Pro-Europäer, gibt sich patriotisch empört und sagt, die kroatische Justiz könne "gewisse Fälle aus der Vergangenheit"selbst lösen. Diese Haltung ist mehrfach fragwürdig.

Erstens wirkt sie wie einer jener nationalistischen Re­flexe, die üblicherweise von rechts kommen. Zweitens hat sich Kroatien seit der Unabhängigkeit 1991 - gleichgültig, unter welcher Regierung – nicht gerade durch einen offenen, vorbehaltlosen Umgang mit seiner Vergangenheit, sei es der faschistischen, sei es der titoistisch-kommunistischen, hervorgetan. Nur nicht zu viel Wind um diese umbequemen Kapitel der eigenen Geschichte machen - das scheint parteienübergreifende Staatsräson zu sein.

Drittens aber, und das ist das Entscheidende, werden die EU-Rechtsnormen nicht als etwas verpflichtendes Gemeinsames, sondern als etwas Außenstehendes, fast Feindliches empfunden. Viele "alte" EU-Länder sind da mit schlechtem Beispiel vorangegangen, und zuletzt hat Ungarns rechtsnationale Regierung das Spiel "Wir gegen Brüssel"auf die Spitze getrieben. Dass das jüngste Unionsmitglied unter sozialliberaler Führung eine ähnliche Haltung vertritt, zeigt, wie stark die alten Muster weiterwirken – und wie notwendig eine deutliche Antwort aus Brüssel ist. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 18.9.2013)