Tobte der Wahlkampf früher vor allem auf Marktplätzen und im Fernsehen, so spielen bei dieser deutschen Bundestagswahl erstmals die sozialen Medien eine größere Rolle. Steckten sie bei der Wahl vor vier Jahren noch in den Kinderschuhen, tummeln sich inzwischen Millionen Wähler bei Facebook, Twitter, Google+, Instagram und Co. Allein bei Facebook sind 19 Millionen Deutsche unterwegs - pro Tag. Kein Wunder, dass alle Parteien ihren Wahlkampf auf diese Zone ausgeweitet haben. Doch bringt das posten, tweeten und sharen auch Stimmen?

Wahnsinnig überschätzt

"Ich glaube, dass das wahnsinnig überschätzt wird", sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts FORSA, Manfred Güllner. Eine Untersuchung von Infratest DIMAP scheint das zu bestätigen. Das Internet spielt demnach trotz der intensiven Online-Aktivitäten der Parteien nur eine untergeordnete Rolle. 61 Prozent der deutschen Wähler nutzen soziale Medien wie Twitter oder Facebook gar nicht. Von den übrigen 39 Prozent wünschen mehr als die Hälfte in sozialen Netzwerken keinen Kontakt mit Kandidaten oder Parteien. Nur 19 Prozent gaben in der Umfrage im Auftrag der Axel Springer Akademie an, sie wollten angesprochen werden.

Bei der Frage, welche Politiker in den sozialen Medien wahrgenommen werden, kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel - die auf Facebook rund 369.000 Fans zählt - zwar auf den ersten Platz. Aber nur fünf Prozent der Befragten gaben an, die Amtsinhaberin in sozialen Netzen überhaupt zu bemerken. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück - der auf Twitter rund 57.000 Follower (Abonnenten) zählt und bei Facebook fast 56.000 Anhänger um sich schart - kam mit drei Prozent auf einen noch niedrigeren Wert.

Sind die ganzen Anstrengungen von Kandidaten und Parteien also völlig umsonst? Nicht ganz. Zwar wechseln auch mit der besten Internet-Kampagne wohl nur die wenigsten Interessierten das politische Lager. Allerdings lassen sich die eigenen Anhänger mobilisieren. "Es gibt denen das Signal, dass es sich lohnt, Wahlkampf zu machen", sagt der Wissenschafter Andreas Jungherr von der Universität Bamberg.

"#aufschrei

Auch Kampagnen lassen sich im Internet beschleunigen. Bestes Beispiel dafür ist die Debatte über sexuelle Übergriffe nach einem Artikel über den FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle. Als das Thema in Twitter unter dem Stichwort "#aufschrei" aufgegriffen wurde, schaukelte sich die Debatte schnell bundesweit hoch - so wie später Steinbrücks Stinkefinger oder Merkels Deutschlandkette. "Die Zeiten, in denen der Internetwahlkampf eine nette, aber letztendlich belanglose Spielerei war, sind vorbei", sagt der Wahlkampfmanager der Grünen, Robert Heinrich.

Nach einer Studie im Auftrag des Hightech-Verbandes Bitkom sind immerhin 37 Prozent der Deutschen der Meinung, der Einsatz des Internets durch die Parteien werde entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl haben. Unter den 18- bis 29-Jährigen vertritt sogar fast die Hälfte diese Ansicht. Für diese Altersgruppe ist das Netz die dominierende Informationsquelle: Fast jeder zweite informiert sich hier. Das Fernsehen bringt es nur auf 26 Prozent, Tageszeitungen gar nur auf knapp 14 Prozent. Kein Wunder, dass inzwischen 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten in mindestens einem der Netzwerke wie Facebook oder Xing aktiv sind, wie Bitkom herausfand.

Dort wird der Kampf um Stimmen erst am Wahltag selbst enden. "Wahlen gewinnt, wer seine Wähler am besten mobilisiert", sagt der Chef von Infratest Dimap, Richard Hilmer. Um sie an die Wahlurnen zu treiben, richten sich deutsche Bundestagsabgeordnete an ihre Anhänger via Twitter. "Liebe Nürnbergerinnen und Nürnberger, bitte am Sonntag zur Wahl gehen", schreibt etwa die CSU-Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl, die dort wieder kandidiert, zwei Tage vor dem Wahltermin.

Ganz auf das Netz verlassen wollen sich die Politiker aber nicht. Die SPD etwa betreibt einen intensiven Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Ihre Kandidaten und Helfer absolvierten bis Dienstag 4,1 Millionen Hausbesuche, bis zum Wahlsonntag sollen es fünf Millionen sein. "Mundfunk und Laufwerk", sind wahlentscheidend, sagte einst der spätere Bundespräsident Johannes Rau. Daran scheint sich auch in Zeiten von Facebook und Twitter nichts geändert zu haben. (APA, 20.9. 2013)