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Jungbrunnen Sperma: In der Samenflüssigkeit sämtlicher Lebewesen ist Spermidin enthalten, aber auch in bestimmten Nahrungsmitteln.

Foto: Mehau Kulyk/ /Science Photo Library/Corbis

Auch wenn sich die Jugend heute bei vielen bis ins überreife Alter auszudehnen scheint - körperliche Abbauprozesse nehmen oft unbemerkt ihren Lauf. So setzt ab dem fünften Lebensjahrzehnt unter anderem ein allmählicher Gedächtnisschwund ein, der auf verklumpte Proteine zurückzuführen ist, die sich verstärkt im Gehirn ablagern. Diese Proteinverklumpungen können mit fortschreitendem Alter bis zur Demenz führen. An die 100.000 Österreicher sind von dieser schleichenden neurodegenerativen Erkrankung betroffen, in Zukunft werden es aufgrund der wachsenden Zahl alter Menschen noch beträchtlich mehr sein.

Ein Forscherteam um Frank Madeo vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz und Stephan Sigrist von der Freien Universität Berlin verfolgt eine heiße Spur im Kampf um die Erinnerung. Auf ihrer Suche nach wirksamen Substanzen gegen Demenz stieß die Arbeitsgruppe von Madeo bereits im Jahr 2009 zufällig auf das körpereigene Polyamin Spermidin - ein Haupttreffer, wie sich nun herausstellte.

"In Versuchen mit Fruchtfliegen konnten wir nachweisen, dass Spermidin einen zellulären Reinigungsprozess auslöst", erläutert Madeo. "Dabei wird der in den Zellen angesammelte Müll, in dem sich auch die Proteinverklumpungen befinden, quasi aufgelöst. Das funktioniert über einen Mechanismus, der auch beim Fasten angeschaltet wird."

Wo aber findet man den verheißungsvollen Jungmacher? "Dieses Molekül kommt in allen lebenden Organismen vor, in besonders hoher Konzentration aber ist es im Sperma, woher es auch seinen Namen hat", sagt Madeo. Die Spermidinproduktion nimmt allerdings mit zunehmendem Alter ab.

Seine Wirkung auf Fliegen war verblüffend: Die mit Spermidin angereicherte Nahrung minimierte in den Fliegenhirnen die Menge der Proteinabfälle und brachte die Erinnerungsleistung der betagten Versuchstiere wieder auf ein jugendliches Niveau. Die Forscher beobachteten, wie schnell die Fliegen aus bestimmten Reizen lernten und welche Spermidinspiegel damit korrelierten.

Während ältere Fruchtfliegen im Vergleich zu jüngeren weniger erfolgreich lernten, hatten jene Altersgenossen, die mit Spermidin gefüttert wurden, kein Defizit und erfüllten ihre Aufgabe genauso gut wie die Jungen. Die hochgenauen Messungen in den winzigen Fliegengehirnen wurden im Massenspektrometrielabor der steirischen Forschungsgesellschaft Joanneum Research von den dortigen Experten durchgeführt, die auch die erforderliche Methodik entwickelten.

Dass Spermidin nicht nur die Gedächtnisleistung alter Fruchtfliegen, sondern auch das Gefäßsystem alter Mäuse verjüngen kann, wurde kürzlich von einer amerikanischen Arbeitsgruppe nachgewiesen. Aber ist es zulässig, von Fliegen und Mäusen auf Menschen zu schließen?

"Zwar bilden tierische Organismen auf ganz ähnlichen molekularen Wegen Erinnerungen wie der Mensch, dennoch muss die Wirkung von Spermidin auf das menschliche Gehirn noch im Detail erforscht werden", dämpft Frank Madeo die Hoffnung auf ein demnächst in der Apotheke zu beziehendes Wundermittel gegen Demenz. Die nötigen Untersuchungen werden von den Grazer Wissenschaftern derzeit gemeinsam mit Kollegen von der Uni-Klinik für Neurologie in Innsbruck auf Basis einer einzigartigen Patientendatei durchgeführt. In dieser Datei wurden über viele Jahrzehnte die Ernährungsgewohnheiten von gesunden Menschen und Demenzpatienten aufgezeichnet.

Wirkstoff auch in Soja

Diese Aufzeichnungen sind deshalb von so großer Bedeutung, weil sich Spermidin praktischerweise nicht nur in der Samenflüssigkeit sämtlicher Lebewesen bis hin zum Menschen in hoher Konzentration findet, sondern auch in bestimmten Nahrungsmitteln wie Soja, Grapefruits, Weizen oder Pilzen. "Mit den Innsbrucker Neurologen wollen wir nun herausfinden, ob und wie stark die Menge an Spermidin im Essen der Patienten mit ihrer Demenzerkrankung korreliert", berichtet Frank Madeo. Sobald bekannt ist, welche Nahrungsmittel die Spermidinkonzentration im Blut in welchem Ausmaß beeinflussen, wollen die Forscher klinische Studien mit Demenzpatienten durchführen.

Aus japanischen Untersuchungen ist übrigens bekannt, dass Menschen, die häufig das traditionelle japanische Gericht Natto verzehren, überdurchschnittlich viel Spermidin im Blut haben. Dieser stark riechenden, schleimige Fäden ziehenden Speise aus fermentierten Sojabohnen wird in der japanischen Volksmedizin schon seit Jahrhunderten eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt. Seine Heilkraft gehe neueren Untersuchungen zufolge vor allem auf das Enzym Nattokinase zurück, das Ablagerungen zersetzt, die wahrscheinlich auch mit neurodegenerativen Erkrankungen zusammenhängen.

Selbst wenn das vielgepriesene Natto trotz seiner nachgewiesenen Vorzüge keine allzu große Anhängerschaft in Europa finden sollte, ist die Hoffnung auf ein wirksames Gehirndoping mit natürlichen Substanzen auch hier durchaus berechtigt. "Gelingt es uns, mit Spermidin als Nahrungsergänzung den Beginn von Demenzerkrankungen auch nur geringfügig zu verzögern, wäre das ein großer Durchbruch", ist Frank Madeo überzeugt. (Doris Griesser, DER STANDARD, 25.9.2013)