Ziehen diese Figuren wirklich an einem Strang? Der Argentinier Federico León hat "Las Multitudes" sorgfältig choreografiert.

Foto: Arpesella

 Das könnte eng werden. Nicht weniger als 120 Darsteller hat Federico León für sein Theaterspektakel Las Multitudes casten lassen: zehn nach Alter und Geschlecht eingeteilte Gruppen zu je zwölf Personen. Gemeinsam werden sie in der Grazer Helmut-List-Halle eine klassische Geschichte erzählen. Die jungen Burschen suchen, wie könnte es anders sein, die Mädchen.

Die Angebeteten aber schwärmen von verwegenen Musikern, denen das Testosteron bereits sichtbarer eingeschossen ist. Zwar haben diese Haudegen bereits Freundinnen, für ein wenig heimliches Fremdschmusen stehen sie trotzdem gerne zur Verfügung - eine letztlich verfahrene Situation.

Höchste Intensität

Man kann sich vorstellen, dass nicht nur das Zueinanderfinden für die Protagonisten mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, sondern auch der Regisseur und seine Darsteller einige Hürden zu überwinden haben, um ein derartiges Projekt auf die Bühne zu bringen.

León, 1975 in Buenos Aires geboren und für seine Arbeit, die ihn bereits 2009 zum Steirischen Herbst führte (Yo en el futuro), mehrfach ausgezeichnet, begann bereits im März mit den ersten Castings, die Probephase startete jedoch erst diesen Montag. Die für eine Produktion mit einem derartigen Ausmaß als durchaus ambitioniert zu bezeichnende Probendauer verlangt von allen involvierten Personen höchste Disziplin. Denn aus der Diversität der Akteure soll kein Inszenierungshindernis, sondern die Grundlage für ein Theaterstück von höchster Intensität werden. Schließlich handelt es sich um keine Massenimprovisation, sondern um ein von León sorgfältig im Alleingang geschriebenes Werk, irgendwo zwischen märchenhafter Performance und antiker Tragödie.

Dabei greift León auf einen sehr persönlichen Erfahrungsschatz zurück. So gibt es in Las Multitudes einen alten Mann, der immer wieder den Anschluss an seine Gruppe verliert. Das ist eine Reminiszenz an die erste Theateraufführung, die der heutige Massenchoreograf in seiner argentinischen Heimat sah: eine Inszenierung der Bewohner seines Viertels, bei der eine alte Darstellerin immer wieder ihren Text vergaß.

Andere Szenen speisen sich aus Erinnerungen des Regisseurs an einstige Familienurlaube in einer auf gemeinschaftliche Aktivitäten ausgerichteten Ferienanlage. Dem universellen Charakter des Stücks tut dies alles keinen Abbruch.

Während sich die vier- bis achtzigjährigen Darsteller - alle in Weiß, jedoch mit spezifischen Verhaltensweisen - einander annähern und neue Bezugsmuster entstehen lassen, agieren sie im Verbund und zugleich als individuelle Persönlichkeiten. Sie überwältigen als Menschenmenge und schaffen kurz darauf private Momente größter Intimität. So erzählt das Mammutprojekt von Massenbewegungen, wie sie von Occupy Wall Street bis zum Tahrir-Platz das Weltgeschehen der Gegenwart prägen, und gleichzeitig auch von den persönlichen Empfindungen seiner Figuren zum alle Generationen vereinenden Lebensthema der Suche nach Liebe. Ein bisschen Zusammenrücken hat da noch nie geschadet. (Dorian Waller, DER STANDARD, 27.9.2013)