Der chinesische Hamster ist seit den 1950er-Jahren eines der Lieblingstiere der Zellbiologie. Er produziert auf ungeklärte Weise ähnliche Proteine wie der Mensch.

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In den Eierstöcken des chinesischen Hamsters befindet sich eines "der großen Geheimnisse der Natur", sagt Nicole Borth, Expertin für tierische Zellkultur und Professorin an der Wiener Universität für Bodenkultur. Denn einzig dieser Hamster besitzt eine bestimmte Zelllinie in seinen Eierstöcken, die Proteine ähnlich modifiziert, wie der Mensch es tut.

Daher eignen sich diese Hamsterzellen dafür, fast perfekte therapeutische Proteine herzustellen, die beim Menschen keine Abwehrreaktionen hervorrufen. Warum das so ist, "verstehen wir nicht", meint Borth. Aber allein dass es so ist, macht diese Zellen höchst attraktiv für die Pharmazie.

Die Zellen eignen sich besonders zur Produktion von Antikörpern, die etwa in der Krebstherapie oder gegen Rheuma eingesetzt werden können. Von den aktuellen Forschungsergebnissen erhoffen sich die Wissenschafter, dass sie helfen, die pharmazeutische Anwendung der Hamsterzellen bedeutend kostengünstiger zu machen und diese breiter einsetzen zu können. 100 Arzneimittel auf Basis der Hamsterzellen sind derzeit bereits auf dem Markt, weitere 400 werden in klinischen Studien getestet.

Borth konnte kürzlich erstmals in der renommierten Zeitschrift Nature Nanotechnology die Sequenz des Erbguts des Hamsters publizieren. Wie das Forschungszentrum Austrian Center of Industrial Biotechnology (siehe Wissen unten) bekanntgab, dürfte der chinesische Hamster das erste Tier sein, das von einem österreichischen Team erst-sequenziert worden ist.

Zwar ist die für die Pharmazie relevante Zelllinie, kurz CHO-Linie (Chinese Hamster Ovary), bereits seit den 1950er-Jahren bekannt, doch erst vor zwei Jahren wurde ihre Sequenz erstmals publiziert. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die CHO-Linie sehr instabil ist, betont Borth, sie verändert sich ständig, wie es auch Krebs-Zelllinien tun. In den letzten Jahren wurde sie mehrmals sequenziert, und die ermittelten Proteinabfolgen unterscheiden sich voneinander.

Umso wichtiger ist es für die Wissenschafter, ein stabiles Referenzgenom zu haben. "Dafür eignet sich nur das Genom des chinesischen Hamsters, weil die CHO-Linie original von ihm kommt", sagt Borth.

Hamster-Pharmazie für jeden

Aufgrund der Instabilität der CHO-Zelllinie dauert es derzeit etwa ein halbes Jahr, um Zellen herzustellen, mit denen sich Pharmazeutika produzieren lassen. Durch ein Referenz-Genom könnte diese Zeit verkürzt und damit die Entwicklung beschleunigt und Kosten gesenkt werden.

Borth selbst gab die Sequenzierung bei der Universität Bielefeld in Auftrag. Dabei verfolgte ihr Team einen neuen Ansatz, um der eigentlichen wissenschaftlichen Herausforderung, nämlich die Sequenzen danach aufzuarbeiten, zu begegnen: Normalerweise wird das gesamte Genom auf einmal sequenziert und dann die Sequenzen zusammengebaut. "Wir haben zunächst die einzelnen Chromosomen isoliert und sie einzeln sequenzieren lassen", sagt Borth, "dadurch ist das, was man zusammenbaut, wesentlich kürzer und einfacher."

Seit 2009 arbeitet Borth an der Sequenzierung. Dass das Genom des chinesischen Hamsters trotz seiner Relevanz bisher noch nicht entschlüsselt worden ist, liegt auch an der technologischen Entwicklung der Vergangenheit, meint Borth. Erst in den letzten fünf Jahren hat die Entwicklung des sogenannten Next Generation Sequencing es auch kleineren Forschungsgruppen möglich gemacht, Sequenzierungen in Auftrag zu geben. Dadurch können Genome nun relativ kostengünstig bestimmt werden. Das erste Genom wurde 1995 von Craig Venter sequenziert, nämlich das des Bakteriums Haemophilus influenza. 2001 wurde die Sequenzierung des menschlichen Genoms bekanntgegeben.

Mit der vor dem Next Generation Sequencing üblichen Sanger-Methode wäre die Entschlüsselung des Hamster-Genoms etwa fünfmal so teuer gewesen, sagt Borth. Mit der neuen Methode kam die Sequenzierung auf 400.000 Euro, das gesamte Forschungsprojekt mit Aufarbeitung der Daten auf eine Million Euro.

Borth erhofft sich durch den Einblick in das Genom des chinesischen Hamsters einen "Technologiesprung, sodass sich zukünftig jede durchschnittliche Krankenkassa und im Idealfall auch Patienten in der Dritten Welt sich solche Produkte leisten können". (Tanja Traxler, DER STANDARD, 2.10.2013)