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Foto: AP/Matthew Mead

Früher studierte der Bildungshungrige in Ruhe in der Bibliothek die dicken Bücher. In unserer schnelllebigen Welt findet man immer weniger Zeit, seinen Wissensdurst zu stillen. Das sogenannte Mikrolernen (englisch "Microlearning") soll dieses Problem lösen. Unter diesem Begriff verstand man in der Bildungsforschung ursprünglich das Lernen von kleinsten Lerninhalten - wie beim Vokabellernen. Aber angesichts des technischen und kulturellen Wandels verändert sich der Wissenserwerb - und damit das Konzept des Mikrolernens.

Peter Baumgartner, Leiter des Departments für interaktive Medien und Bildungstechnologien an der Donau-Uni Krems, erklärt: "Im alten Sinn war mit Microlearning das Büffeln beziehungsweise das Auswendiglernen von vorgegebenen einzelnen Informationen gemeint. Die neue Konzeption von Microlearning geht von autonomen, selbstbestimmten Lernenden aus, die in kleinen Einheiten, aber selbstgesteuert lernen. ,Mikro' definiert danach nicht bloß die Größe des Inhalts, sondern bezieht sich auch auf die Interaktion, das heißt auf die zeitlich sehr kurze Lerneinheit mit einem möglichst schnellen Feedback."

Wie neue, mobile Technologien für die Gestaltung solcher Mikrolernumgebungen genutzt werden können, diskutierten Baumgartner und andere Bildungsforscher vergangene Woche bei einer Tagung, die von den Research Studios Austria und der Donau-Uni veranstaltet und vom Wissenschaftsministerium unterstützt wurde. Smartphones und Tablets ermöglichen, virtuelle interaktive Inhalte auch unterwegs abzurufen. "Es ist nun möglich, in bestimmten Situationen zu lernen, in denen man dachte, dass man dann eigentlich nicht lernen kann - zum Beispiel an einer Haltestelle oder in einer Warteschlange", sagt Baumgartner.

Welche Anwendungsmöglichkeiten sich daraus ergeben könnten, steht im Fokus der Bildungsforscher. Sie stehen vor der Frage, wie man Inhalte mit mobilen Medien lernpsychologisch möglichst gewinnbringend vermittelt. Als einfaches Negativbeispiel für ein so interagierendes Lernprogramm nennt Baumgartner Microsofts Helferbüroklammer, die stets zum falschen Zeitpunkt und meist unnötige Ratschläge gab und deshalb von vielen ausgeschaltet wurde, bevor sie einem wirklich etwas beibringen konnte.

Dialog mit den Infos

Auch wenn Informationen, die man häppchenweise mit Lernprogrammen auf dem Smartphone serviert bekommt, ähnlich reduziert wie Vokabeln erscheinen, ist der Informationsgehalt laut Baumgartner durch die Struktur neuerer Lösungen des Mikrolernens weitaus größer. Während der "Dialog" mit einer Vokabelkarte nur im Umdrehen für die Lösung bestand, kommt man nun mit den und über die Lerninhalte wirklich ins Gespräch. Schließlich erhält man hier nicht nur ein paar kleine Inhaltseinheiten: Das Feedback eines mobilen Lernprogramms könne zusätzliche Informationen geben, auf andere Seiten verlinken oder den Benutzer mit anderen Wissenshungrigen vernetzen.

Anstatt für solch eine Interaktion zu festen Zeiten in einer Bildungsanstalt zu sitzen, kann man das mit mobilen Geräten tun, wo es einem am besten passt und wann man gerade in seinem individuellen Zeitplan Platz findet: Trotz aller Automatisierung und Vernetzung bleibt das Lernen somit weiterhin selbstbestimmt.

"Durch die Verkleinerung der Inhalte kann die Lernsituation viel zielgenauer und konkreter auf die Person und den Kontext zugeschnitten werden. Dazu muss allerdings in der Forschung noch einiges erarbeitet werden, damit die Systeme so reagieren, wie wir es gerne hätten", erläutert Baumgartner die zukünftigen Herausforderungen im Bereich des Mikrolernens. So wäre es etwa denkbar, dass das Smartphone Informationen aus der jeweiligen Umwelt sammelt und zum geeigneten Zeitpunkt in den Lernprozess miteinbezieht.

Über solche Potenziale im Feld des Mikrolernens tauschten sich auf der Konferenz in Krems Teilnehmer aus aller Welt aus. So präsentierte Davor Orlic vom Jozef-Stefan-Institut in Ljubljana ein Konzept, mit dem auch sogenannte Makroinhalte mithilfe des Microlearning vermittelt werden können: Der slowenische Wissenschafter arbeitet an einer Plattform, auf der Videos mit längerer Laufzeit in kleine Schnipsel unterteilt angeboten werden. Die Idee dahinter ist, dass der Nutzer nach Stichwörtern und Inhalten suchen kann, die in den Videos enthalten sind. So erreicht man einzelne Inhalte direkt, ohne sich durch das ganze Video scrollen zu müssen.

Mikrolernen boomt, ist Peter Bruck, Geschäftsleiter der Research Studios Austria, überzeugt: "Es hat sich gezeigt, dass die Herausforderungen im Lernen weltweit unterschiedlich sind, aber dass der Trend des Mikrolernens überall zu sehen ist - ob beim unternehmerischen Wissensmanagement in Indien, universitärer Bildung in China oder in Saudi-Arabien bei der Vorbereitung auf den Hadsch nach Mekka." (Johannes Lau, DER STANDARD, 2.10.2013)