Den beliebten Slogan "Still Loving Feminism" zerlegte Gudrun-Axeli Knapp genauer in seine möglichen Bedeutungen.

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Womöglich sind die unterschiedlichen frauenpolitischen Aktivistinnen zu sehr in ihre präferierten Ideen vertieft, vermutet Knapp. Das Bild zeigt eine ägyptische Tanzgruppe bei der Performance "Women of Kasem Amin". Kasem Amin (1863-1908) war ein Jurist und ein Verfechter der Durchsetzung von Frauenrechten in Ägypten.

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Als MitarbeiterInnen des Gleichstellungsbüros der Freien Universität Berlin zum diesjährigen Frauentag Postkarten mit dem Slogan "Still Loving Feminism" in Umlauf brachten, staunten sie nicht schlecht. Das Echo war so positiv, dass sie kurz darauf den Spruch auch via Buttons und T-Shirts in Umlauf bringen konnten. Aber was soll dieses "noch immer" eigentlich bedeuten, und worauf richtet sich - angesichts des großen und vielfältigen Feldes des Feminismus - diese Liebe eigentlich genau?

Die renommierte Soziologin und Geschlechterforscherin Gudrun-Axeli Knapp dröselte auf Einladung des frisch gegründeten Forschungsverbunds Geschlecht und Handlungsmacht in einem Vortrag anhand dieser Liebeserklärung aktuelle Schwierigkeiten der feministischen Kritik auf. Denn tatsächlich scheinen gerade in den letzten Jahren die Emotionen gegenüber feministischen Projekten intensiver geworden zu sein: ein "Stimmgewitter von Toterklärungen des Feminismus bis hin zu Hochjubeln", wie es in der Ankündigung zur Veranstaltung am vergangen Montag beschrieben wurde.

Mangel an Zukunftsperspektiven

Knapp hantelte sich in ihrer Analyse über Verfasstheit und vor allem Zukunft der feministischen Kritik tatsächlich entlang des Slogans "Still Loving Feminism": Deren TrägerInnen  würden den Feminismus als etwas Lebendiges und Aktuelles erklären. Mit dieser Wiederbelebung würden sich die einen an ein altes Zugehörigkeitsgefühl erinnern, für andere wiederum könne es ein Gefühl der Sehnsucht nach etwas hervorrufen, das einmal gewesen ist oder gewesen sein sollte. In jedem Fall komme aber ein Mangel im Hier und Jetzt zum Ausdruck, so Knapp: Ein Mangel an Solidarität, ein Mangel an Aufbegehren gegen sexistische, rassistische oder ethnozentrische Zumutungen. Und vor allem ein besorgniserregender Mangel an Zukunftsperspektiven.

Dieses "still" zeigt für Knapp, dass es sich also um einen nachträglichen Blick auf Feminismus handelt, vergleichbar mit dem Blick in die eigene Kindheit, wie ihn Sigmund Freud beschreibt: "Erinnerungen an die Kindheit sind nie Erinnerungen aus der Kindheit, sondern Aktualisierungen und Umschreibungen von gegenwärtigen Konflikten und Bedürfnissen."

Starke Spezialisierung

Was verrät also dieser nachträgliche Blick auf den Feminismus, fragt Knapp und versucht eine Skizze der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zu zeichnen. Dazu zieht sie das von der deutschen Soziologin Ilse Lenz entworfene Modell des magischen Vierecks hinzu, in dem sich in den verschiedenen Ecken die autonome Frauenbewegung, die Frauenforschung, die institutionelle Frauenbewegung und die PolitikerInnen befinden. Dass in Kombination aus allem tatsächlich etwas bewirkt werden kann, dafür wäre Wien ein gutes Bespiel, wo sich diese verschiedene Räume sehr lange gegenseitig gestärkt hätten. Aktuell vernimmt Knapp, und darin sieht sie eines der Grundprobleme der gegenwärtigen feministischen Arbeit, den Kontakt zwischen diesen unterschiedlichen Praxisfeldern unterbrochen. Statt Uneinigkeiten auszutragen, würde jede der vier Ecken immer mehr professionalisiert  und spezialisiert.

Obwohl diese Spezialisierungen auch Begleiterscheinungen von Erfolg seien, sieht sie die Soziologin eher negativ: "Die Kraft der Verbundenheit hat sich aufgezehrt und die übergreifenden Räume sind kleiner geworden." Somit ginge nicht nur der so wichtige Widerstreit verloren, sondern auch die gegenseitigen Ansätze würden nicht mal mehr verstanden werden, weil sie sich wie Fremdsprachen gegenüberstehen. Knapp: "Zwischen den unterschiedlichen Richtungen gibt es auch die Tendenz zu verabsolutieren". Dabei könnte zum Beispiel der Fokus auf die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter dringend auch den queer-feministischen Blick mit seiner Kritik, dass es weit mehr Diskriminierungskategorien als das biologische Geschlecht gibt, vertragen.

Geltungsgrenzen reflektieren

Auch wenn jemand einen Bereich aus dem magischen Viereck als sinnvoller erachte als einen anderen, müssten dennoch immer wieder die eigenen Geltungsgrenzen reflektiert werden, fordert Knapp.  

Gründe zum produktiven Widerstreit zwischen den unterschiedlichen feministischen Arbeitsbereichen gäbe es mehr denn je: Die zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen, die freilich auch die Geschlechterverhältnisse betreffen oder die "anwachsende Verwertungslogik von allem Lebendigen", die Frage, wer die Kinder aufzieht, die Kranken pflegt oder Sterbende begleitet.

Es gibt also wahnsinnig viel zu tun und es reicht bei weitem nicht, den Feminismus "noch immer zu lieben". So viel steht nach Knapps Vortrag fest. Und vielleicht sollte man sogar die eigenen präferierten Ideen, wie es mit der Gleichberechtigung endlich etwas werden könnte, manchmal etwas weniger lieben. Damit der von Knapp eingeforderte Dissens und Austausch wieder eine Chance hat. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 3.10.2013)