Vogel Strauß? Ein Sackerl überm Kopf? Dem Bundesadler sind jedenfalls die Krallen gebunden.

Illustration: Felix Grütsch

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Heidi Glück: Das erste Jahr ist das entscheidende. 

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Österreich hat gewählt, die SPÖ hat vor der "Partei" der Nichtwähler und der ÖVP gewonnen, drei Mittel- und drei Kleinparteien bevölkern die Volksvertretung. Die alte Koalition schrammt bei Prozenten und Mandaten hart am Existenzminimum vorbei, und alle reden vom Denkzettel. Was aber soll denn draufstehen auf dem Denkzettel? Und wer soll denken? Denken sollen jedenfalls nicht nur die Politiker, sondern auch die Wähler. Regierte haben immer die Regierung, die sie verdienen, und die Frage sei erlaubt, wie souverän der Souverän denn votiert hat in den Wahlzellen am vergangenen Sonntag.

Die relativ meisten haben sich wieder bereitwillig die politischen Beruhigungspillen der SPÖ verschreiben lassen. Dass das schuldenfinanzierte Sozialdorado in einem bösen Erwachen enden wird, wurde erfolgreich verdrängt. Und dass der Big-Spender-Staat nur dank seiner hypertrophen Inkassomaschine noch "funktioniert", wurde lammfromm hingenommen. Die Nettoempfänger des Umverteilungsstaates wählen die Verheißung der immerwährenden Sicherheit und drücken dem Staatsbudget die Daumen. Andere wählten die Reform-Rhetorik der "entfesselten" ÖVP. Sie glaubten den Propheten des Wandels, auch wenn so manche bittere Medizin verschrieben wurde. Sie verlängerten damit ihr Vertrauen gegenüber jenen, die seit Jahren an den Schalthebeln der - vor allem wirtschaftlichen - Macht gesessen sind und es durchaus in der Hand gehabt hätten, mehr zum Besseren zu wenden. Noch ein Vertrauensvorschuss. Einmal geht's noch.

Ein knappes Drittel wählte Populismus, simple Rezepte und das Feindbild EU. Wahrscheinlich wissen diese Wähler sogar, dass sich ein exportabhängiger Kleinstaat mit einer antieuropäischen Politik existenziell schadet, aber man wählt lieber den "Austro-Euro" oder Austrittsfantasien oder "Nächstenliebe", exklusiv für Landsleute. Lust auf Protest leitet das Wahlverhalten - eine Stimmungswahl, die der Emotion frönt.

Alles in allem wirken beide Seiten der Politik - das Angebot und die Nachfrage, Politiker und Wähler - irgendwie unernst, realitätsverweigernd, unschlüssig, aber auch irritiert. Die große Krise scheint vorbei, das Schlimmste überstanden, aber es stellt sich keine Beruhigung ein. Man spürt: Es könnte wieder was passieren, und deshalb muss was passieren, aber vielleicht könnten wir in Österreich doch mit "business as usual" und "more of the same" noch einmal durchtauchen? Zwischen diesen Polen der Beharrung und des Aufbruchs entscheidet sich die Zukunft. Auch die Zukunft dieser 51-Prozent-Koalition.

Die Frage ist, ob sie sich zu einer nationalen Kraftanstrengung der neuen Art aufrafft. Noch sind die Eckdaten der Republik passabel, aber die Zeitbomben ticken - Pension, Alterung, Pflege, Staatsfinanzen, Bildung, Verwaltung. Der schleichende Abstieg in den internationalen Rankings hat längst begonnen. Vergleichbare Länder haben ihre reformpolitischen Hausaufgaben längst gemacht - von Schweden bis Neuseeland.

Von diesen beiden Ländern kann Österreich beispielsweise lernen, dass man mit einer schonungslosen Eröffnungsbilanz beginnen muss. Weg mit dem Vogel Strauß als Wappentier. Und dann muss man schnell sein. Was wehtut, duldet keine Verzögerung. Das erste Jahr entscheidet. Wenn Reformen greifen, geht es wieder aufwärts, auch bei der Akzeptanz der Regierenden im Volk. Hoffentlich!

Ein Ruck muss her

Für Österreich heißt das, eine neue Form des Regierens zu probieren. Konsens finden über die wichtigen Lösungen. Es braucht einen qualitativen Sprung, ein "Ruck muss durchs Land gehen". Projekte exakt definieren, mit Fristen und Umsetzungszeitplänen. Dem Parlament mehr Gestaltungskraft geben und koalitionsfreie Räume. Jene Kräfte einbinden, die politische Dynamik versprechen wie die Neos. Neue Gesichter allein werden nicht reichen, wenn der Mut fehlt, erstarrte Strukturen aufzubrechen. Ressorts tauschen würde neues Denken in die Ministerien bringen, auch Experten als Quereinsteiger. Die Koalition für einen Dritten zu öffnen, ob nun Neos oder Grüne, wäre ein Stimulator für neue Lösungen und der Stachel im Fleisch der Bremser in den eigenen Reihen. Dann macht das Einstimmigkeitsgebot im Ministerrat positiven Druck.

Es geht auch um eine Politik, die wirklich von der Regierung gemacht wird und nicht von Lobbys und Verbänden. Die alte Politik von SPÖVP hat ihre mangelnde Lösungskompetenz bewiesen, die Wähler haben beide Parteien mit dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte bestraft.

Echte Reformpolitik sollten sie belohnen. Im eigenen Interesse. (Heidi Glück, DER STANDARD, 4.10.2013)