Man könne durchaus die Methoden der Literaturtheorie auf Gesetzestexte anwenden, plädiert Ingo Zechner für "Mut zur Interdisziplinarität".

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STANDARD: Sie sind kürzlich aus den USA zurückgekommen und werden nun als Wissenschaftskoordinator am IFK antreten. Was haben Sie in Amerika gemacht?

Zechner: Ich war sechs Monate Fellow am Center for Advanced Holocaust Studies des United States Holocaust Museum in Washington, im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt über "American Liberation Footage". Das sind Aufnahmen, die amerikanische Soldaten bei der Befreiung der Konzentrationslager gedreht haben. Bisher galt das Interesse diesbezüglich sehr stark den daraus hergestellten Filmen, also Newsreels oder Reeducation-Filmen wie Death Mills, aber auch Filmen, die als Beweise bei Gerichtsverfahren zum Beispiel in Nürnberg verwendet wurden. Ich habe mich hingegen mit dem Rohmaterial beschäftigt, das ist nämlich vergleichsweise noch wenig erforscht und vernachlässigt.

STANDARD: Was verstehen Sie unter Kulturwissenschaften?

Zechner: Das ist ja ein sehr weiter Begriff, weiter auch als "Cultural Studies" im Englischen. Mein eigener Ausbildungshintergrund ist Philosophie und Geschichte, ich habe stärker zu Philosophie publiziert, in den letzten paar Jahren aber vorwiegend als Historiker gearbeitet. Dabei ist eine ganze Reihe von Interessenschwerpunkten entstanden, die in den Bereich der Kulturwissenschaften fallen, weil ich von Beginn an in Richtung ästhetischer Theorie gegangen bin und zuletzt eben sehr viel mit Film zu tun hatte.

STANDARD: Wenn man von Kulturwissenschaften spricht, liegt darin auch so etwas wie eine Hoffnung auf Erlösung der geisteswissenschaftlichen Disziplinen aus ihrer Vereinzelung und Spezialisierung, die manchmal mit Irrelevanz assoziiert wird. Ist das tatsächlich ein Fortschritt?

Zechner: Das ist immer wieder aufs Neue zu beweisen. Mut zur Interdisziplinarität ist auf jeden Fall angebracht. Ich halte es durchaus für denkbar, die elaborierten Methoden der Literaturtheorie auch auf Texte des Alltagsgebrauchs anzuwenden, etwa einen Gesetzestext auf Metaphoriken und Metonymien hin zu untersuchen.

STANDARD: Das wäre die Kehrseite zu Jean-Luc Godard, der einmal davon träumte, ein Steuergesetzbuch zu verfilmen.

Zechner: (lacht) Genau. Die Methodiken sind in den Einzeldisziplinen stark entwickelt, das IFK hat immer wieder Impulse zu setzen versucht, diese miteinander ins Gespräch zu bringen. Das betrifft gerade auch die Kommunikation mit den Naturwissenschaften. Auch diese bedienen sich der natürlichen Sprache, und nicht nur aus diesem Grund ist die Unterscheidung zwischen "hard" und "soft sciences" nicht so einfach aufrechtzuerhalten.

STANDARD: Das Gespräch mit den sogenannten exakten Wissenschaften wird weiter intensiviert?

Zechner: Das ist auch explizit Teil des neuen Forschungsschwerpunkts am IFK, "Imaginationen der Unordnung", dessen Thema bewusst breit formuliert ist, um auch viel zuzulassen. Wenn man nach Ordnungskriterien quer durch die Disziplinen fragt, dann muss auch das Imaginäre in den strengen Disziplinen eine Rolle spielen. Zudem ist mir wichtig, dass die Kulturwissenschaften sich der politisch-ökonomischen Implikationen bestimmter Fragestellungen bewusst sind. Wenn man nach Unordnung fragt, impliziert das ein politisches Risiko, aber auch eine Chance. Revolutionen und prekäre Verhältnisse sind Facetten neuer Formen ökonomischer Regimes, die auf Unsicherheit aufgebaut sind. Diese zu analysieren, haben die Kulturwissenschaften die Mittel zur Verfügung.

STANDARD: Wie verhält sich die Philosophie zu den Kulturwissenschaften?

Zechner: Ich habe Philosophie immer als Grundlagenforschung verstanden, im Wortsinn: Denken, Sprechen, Schreiben wird hinterfragt. Sie hat eine lange Tradition an Methoden und Mitteln anzubieten, die sie sehr gut kompatibel macht mit der Idee disziplinen-übergreifender Forschung.

STANDARD: Helfen Ihre Erfahrungen an einer außeruniversitären Institution in den USA, um den Status des IFK besser vertreten zu können?

Zechner: In Österreich wurde in den letzten Jahren in politischen Diskussionen sehr viel von Exzellenz gesprochen, ohne dass im Detail immer gesehen wird, wie solche Exzellenz in den USA konkret erreicht wird. Das IFK bietet einen großen Vorteil, weil es für eine Zeitlang die ausschließliche Konzentration auf die Forschung ermöglicht. Der direkte Austausch zwischen Seniors und Fellows ist dabei recht einzigartig und kommt amerikanischen Betreuungsverhältnissen nahe. Internationaler Austausch findet in ganz unkomplizierter Weise statt.

STANDARD: Ist die akademische Landschaft in den USA für Österreich ein Modell?

Zechner: In den USA gab es immer einen sehr starken privaten Anteil an der Universitätsfinanzierung. Das kann man in keiner Weise als Modell für Österreich vorschlagen, weil es mit einem völlig anderen Steuersystem verbunden ist. In Österreich neigt man dazu, an Harvard, Princeton, Yale oder vielleicht noch Stanford zu denken, nicht so oft an Berkeley, das viel eher vergleichbar wäre: eine öffentliche Universität, dabei aber über Jahrzehnte hinweg im Ranking unter den Top 5.

STANDARD: Worauf kommt es an, um Exzellenz zu schaffen?

Zechner: Man muss das Betreuungsverhältnis, besonders für die graduierten Studierenden ändern und den Lehrenden mehr Freiraum für die Forschung lassen, dann aber auch Ergebnisse einfordern. Mein Luxus hat darin bestanden, mich zuletzt auf die Forschung konzentrieren zu können. Es ist vereinbart, dass es möglich sein sollte, auch in meiner neuen Position das eine oder andere Forschungsprojekt zu machen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 9.10.2013)