Bild nicht mehr verfügbar.

Würde auf festem Boden: Särge in einem Hangar am Flughafen von Lampedusa.

Foto: AP Photo/Luca Bruno

Andrea Riccardi

Die entsetzliche Tragödie von Lampedusa erfordert von allen eine Antwort. Sie darf sich nicht auf bloße Anteilnahme beschränken, sondern muss auf die Verantwortung hinweisen und den Mut eines Vorschlags aufbringen. Ich fordere ein Staatsbegräbnis in Rom für die Opfer dieses wiederholten menschlichen Desasters. Während wir uns dem Gebet von Papst Franziskus anschließen und sofortige und wirksame Maßnahmen einfordern, um das Leid der Überlebenden zu lindern, können wir nicht umhin, die Untätigkeit der Politik in Europa und weltweit anzuprangern. Die Initiativen der Entwicklungshilfe sind vollkommen unzureichend angesichts des Phänomens der Migration, die eine regelrechte Katastrophe unserer Zeit ist.

Den Reisen der Hoffnung mit dem grauenhaften Schicksal der Verzweiflung muss schon am Ursprung Einhalt geboten werden. Daher muss ein schlagkräftiges internationales Kontrollsystem an den Küsten des Mittelmeeres eingerichtet werden, das die kriminellen Aktivitäten des Menschenhandels mit Männern, Frauen und Kindern bekämpft. Die Entwicklungshilfe muss den ärmsten Ländern Afrikas und den Kriegsgebieten helfen, um nach Möglichkeit dem Migrationsphänomen vorzubeugen. Europa muss auf Lampedusa oder in Sizilien eine nicht rein italienische Aufnahmeeinrichtung eröffnen. Es muss sich um eine Integration der Flüchtlinge, Migranten und Asylbewerber in den verschiedenen europäischen Ländern kümmern, die zur Aufnahme fähig sind und würdige Lebens- und Arbeitsbedingungen anbieten können. Das ist nur das Mindeste, was umgehend getan werden kann und muss. Am 8. Juli hat Papst Franziskus in Lampedusa mit einem Appell unser Gewissen aufgerüttelt, "damit sich das Vorgefallene nicht wiederhole". Es hat sich wiederholt. Dafür sind all diejenigen verantwortlich, "die mit ihren Entscheidungen auf weltweiter Ebene Situationen geschaffen haben, die zu solchen Dramen führen". Dieser Anklage hat der Papst heute nur ein einziges Wort hinzugefügt: "Schande". Europa und die Welt müssen etwas unternehmen!

Andreas Babler

Trauer und Zorn. Wieder starben so viele Menschen auf ihrem Weg in eine - für sie besser erscheinende - Zukunft.

Angesichts der tragischen Ereignisse und dem Tod so vieler unschuldiger Menschen geht es darum, mitzuhelfen, dass so etwas in Zukunft verhindert wird.

Die vielen europäischen Politiker, die immer wieder durch ihre Hetze gegen Asylwerber auffallen, werden wohl nach einigen Tagen wieder zu ihrer politischen Tagesordnung übergehen und ihre Phrasen von "Asyltourismus" und "Sozialschmarotzer loslassen."

Aber es sind nicht nur die lauten Hetzer. Es sind all diejenigen Regierungsverantwortlichen, Beamten und Politiker, die diese Festung Europa zulassen bzw. selbst aktiv aufbauen. Mit Auffanglagern, Sperrzäunen, Frontex und mit einer schlechten Betreuung und gesellschaftlichen Geringschätzung von Flüchtlingen in ihren Ländern.

Die aktuelle Betroffenheit über den Tod so vieler Flüchtlinge muss dazu beitragen, dass sich diese Schreibtischtäter einmal überlegen, wie perspektivenlos die Menschen in den Krisengebieten sein müssen, um ihr Leben auf dem Weg in eine menschenwürdige Zukunft zu riskieren.

Im Übrigen sind es meistens auch die gleichen politisch Verantwortlichen, die in ihren jeweiligen Parlamenten gegen die Erhöhung von Entwicklungszusammenarbeitsgeldern stimmen. Es geht vielen Menschen so schlecht, dass keine Mauer, kein Meer und kein Stacheldraht sie davor zurückweichen lässt, es nicht doch zu versuchen. Einzig und alleine eine Perspektive in ihrem Heimatland würde es ihnen zukünftig ermöglichen, sich selbst und ihre Familien zu ernähren.

Insgesamt sind laut Schätzungen verschiedener NGOs insgesamt über 17.500 Menschen an den EU-Außengrenzen in den letzten 20 Jahren mit ihrer Hoffnung auf eine menschenwürdige Zukunft ums Leben gekommen. Frauen, Männer, Kinder. Onkeln, Tanten, Omas und Opas. Nichten, Neffen, Cousins und Enkelkinder: eine Zahl, so groß wie in meiner Heimatstadt Traiskirchen. Sie alle sind für mich Ankläger an die verantwortlichen Regierungen Europas. Zu Recht. (Andrea Riccardi , Andreas Babler, DER STANDARD, 9.10.2013)